archivierte Ausgabe 3/2017 |
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Die Schriftleitung |
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Leseprobe 1 |
Christi Himmelfahrt |
II. Gott – ein allein erziehender Vater? - Eine ›emanzipierte‹ Männerpredigt zu Christi Himmelfahrt (Apg 1,1–11) |
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Männer – Frauen 9. Klasse Mittelschule. Das Thema Männer-Frauen-Partnerschaft steht auf dem Lehrplan. Wir haben die Religionsklasse aufgeteilt: die Mädchen sind bei meiner Kollegin, die Jungen arbeiten mit mir. Zum Einstieg lesen wir einen Text: Nur für Jungs – Nur für Mädchen. Vielleicht kennen Sie das noch als Rubrik der ehemaligen Jugendbeilage der Süddeutschen Zeitung. Ich habe sie auch als Erwachsener immer noch gerne gelesen – vor allem wegen der legendären Doppelseite Nur für Jungs – Nur für Mädchen in der Heftmitte. Es ging dabei um in Geschlechterfragen so entscheidende Dinge wie Paarungsverhalten oder Friseurbesuche, Einkäufe im Supermarkt oder den besten Freund beziehungsweise die beste Freundin. Und zwar jeweils aus Männer- und aus Frauenperspektive. Einen solchen Text, bei dem es um vermeintlich ›männliches‹ und ›weibliches‹ Kaufverhalten ging, hatten wir noch keine fünf Zeilen weit gelesen, als sich Benni aus der letzten Reihe schon mit der entscheidenden Frage meldete: »Stimmt das denn überhaupt? Ich habe auch sechs Paar Schuhe – und ich bin ganz sicher kein Mädchen. Das sind doch alles nur Klischees!«
Gott Vater und Mutter Kirche »Alles nur Klischees« – stimmt das? Ja und nein. Denn wann immer von Männern und Frauen die Rede ist, von Vätern und Müttern, von Mädchen und Jungen, sind natürlich jede Menge Klischees im Spiel – auch und gerade in der Kirche. Oft handelt es sich bei entsprechenden Zuschreibungen aber doch um mehr als bloße ›Abziehbilder‹ dessen, wie ›es wirklich ist‹. So ein Klischee trifft nie die ganze Wirklichkeit, oft nicht einmal einen Teil von ihr. Und doch hilft es, sich in unserer komplizierten Welt zurechtzufinden. Damit stellt es dann auch selbst einen Teil der Wirklichkeit dar – einen wichtigen sogar, der unseren Alltag noch immer prägt und zu dem wir uns als Männern und Frauen irgendwie verhalten müssen. Ein solches Klischee möchte ich mit Ihnen nun im Licht der beiden heutigen Schrifttexte betrachten: unsere umgangssprachliche Rede von ›Gott Vater‹ und ›Mutter Kirche‹. Im Hintergrund steht eine theologische Einsicht der altchristlichen Kirchenväter: Wer Gott zum Vater hat, braucht die Kirche als Mutter. Der Evangelist Lukas, aus dessen Apostelgeschichte wir gerade gehört haben, bietet dafür einen guten Ausgangspunkt. Denn Lukas spricht in seinem Evangelium von Gott in gängigen, scheinbar geschlechtertypischen Positiv-Klischees von Müttern und Vätern:
– Einerseits beschreibt er ihn – oder: sie? – mit einem leider noch immer viel zu unbekannten Sprachbild als eine mütterlich bergende »Henne, die ihre Kücken unter die Flügel nimmt« (Lk 13,34) – was natürlich nicht heißt, dass es nicht auch entsprechende Väter gibt;
– und andererseits beschreibt er ihn in dem ungleich bekannteren Gleichnis vom verlorenen Sohn (Lk 15,11–32) als einen großherzig in Freiheit setzenden und wieder aufnehmenden Vater – was selbstverständlich nicht bedeutet, dass es nicht auch entsprechende Mütter gibt.
In Bezug auf Gott sind diese Klischees von der ›bergenden‹ Mutter und vom ›freisetzen‹ Vater bei Lukas eindeutig positiv besetzt. Anders ist es bei uns Menschen. Dort können dieselben Eigenschaften positiv und negativ zugleich sein – und sicherlich weiß der eine oder die andere von Ihnen aus eigener Erfahrung ein Lied davon zu singen: Vermeintlich ›mütterliches‹ Behütenwollen kann ebenso schnell zur Umklammerung werden wie vermeintlich ›väterliches‹ Freisetzen zum Alleinlassen.
Gott – ein alleinerziehender Vater Was aber heißt das für unsere gewohnheitsmäßige Alltagsrede von Gott Vater und Mutter Kirche? Um dies zu verdeutlichen, möchte ich am heutigen ›Vatertag‹ ausnahmsweise einmal nur die positiven Seiten des Väterlichen und die negativen Seiten des Mütterlichen herausgreifen – spielerisch und nicht ohne ein gewisses Augenzwinkern. Zwei Einschränkungen sind dabei unbedingt nötig. Erstens nämlich wäre natürlich auch eine umgekehrte Zuordnung möglich. Dann wäre zum Beispiel von Gott als einer barmherzigen Mutter zu sprechen und von der Kirche als einem strengen Vater. Das wäre wenig überraschen, denn diese Verwendung der beiden Bilder kennen Sie vermutlich alle. Und natürlich trägt die Kirche zweitens auch sehr viele positive und nicht nur negative Züge – und zwar sowohl des vermeintlich ›Mütterlichen‹ als auch des vermeintlich ›Väterlichen‹. Diese beiden Einschränkungen stelle ich heute ausnahmsweise einmal bewusst zurück, wenn ich im Folgenden bei Gott als einem unbedingt und unendlich guten Vater und der Kirche als einer menschlich-allzumenschlich zwiespältigen Mutter bleibe.
Dann erscheint Gott wie im Gleichnis vom verlorenen Sohn als ein Vater, der seinen Kindern wirklich etwas zutraut und sie aus dem ›sicheren Nest‹ hinaus in das Abenteuer der Freiheit entlässt – wohl wissend um die Kraft, die er ihnen mit auf den Weg gegeben hat und mit der festen Zusage, jederzeit in die Geborgenheit seines Hauses zurückkehren zu dürfen. Das ist die positive Seite des ›Väterlichen‹ bei Gott: er gibt dem Freiheitsdrang seiner Kinder Raum, denn er möchte ihren Selbststand, ihre Unabhängigkeit und ihren aufrechten Gang. Und zwar nicht selten gegen den Widerstand von Mutter Kirche, die ihre Kücken wie eine übervorsichtige Glucke behütet – weil sie diese nicht loslassen kann aus Sorge, dann von ihnen verlassen zu werden. Hier wirkt sich die negative Seite des ›Mütterlichen‹ aus. Nicht wenige (und nicht die ungläubigsten!) unserer Zeitgenossen haben der Kirche daher längst den Rücken gekehrt, obwohl sie um Gott als den himmlischen Vater ihrer Freiheit wissen. Gott und die Kirche erscheinen ihnen wie ein scheidungsreifes Ehepaar. Für sie ist er längst zum ›allein erziehenden Vater‹ geworden
… und unser Fest Christi Himmelfahrt? Gott als allein erziehender Vater: das passt gar nicht schlecht zum heutigen Vatertag, werden Sie jetzt vielleicht denken. Aber passt es auch zu unserem heutigen Fest Christi Himmelfahrt? Schauen wir noch einmal auf die Apostelgeschichte, wie sie von dieser Himmelfahrt Christi erzählt. Da treten zwei Engel auf, welche die in die Höhe starrenden Jünger zurechtweisen: »Ihr Männer von Galiläa, was steht ihr da und schaut zum Himmel empor?« (Apg 1,11). Das ist auch uns gesagt: Ihr Frauen und Männer, ihr Mädchen und Jungen, ihr Mütter und Väter aus Nürnberg, was steht Ihr da und schaut zum Himmel empor? Auch unser Blick wird auf die Erde zurückgelenkt. Jesus ist nicht wie eine Rakete in die Luft gegangen, die allmählich verblassende Kondensstreifen hinterlässt. Die beiden Engel lenken unsere Blicke vielmehr vom Himmel über uns hin zu jenem verborgenen »Himmel zwischen uns« (W. Willms), dessen Spuren überall dort zu finden sind, wo Menschen sich auf den Weg Jesu einlassen. Sie mahnen uns, nicht nach oben zu starren und uns von den Herren dieser Welt abhängig zu machen – nicht von ihren vielen Übervätern und auch nicht von ihren ›Heiligen Vätern‹, die alles so genau zu wissen scheinen.
Der Apostelgeschichte zufolge ist der Ort des himmlischen Vaters eine »Wolke« (Apg 1,9), in die hinein Jesus entschwindet. Sie kennen das aus dem Alten Testament: Gott zieht seinem Volk in einer Wolke voran. Er ist von einem undurchdringlichen Geheimnis umgeben. Wir können ihn nicht dingfest machen – alle unsere Versuche, nach ihm zu greifen, sind ein einziges Stochern im Nebel. Christi Himmelfahrt sagt uns: Diese geheimnisvolle Wolke des menschlichen Nichtwissens umgibt nun auch Jesus. Er bleibt unserem direkten Zugriff entzogen. Und dieses Entzogensein setzt unsere heutigen Wege der Nachfolge frei – ganz so, wie es der gute Vater im Gleichnis vom verlorenen Sohn tat. Was das für die vielen kleinen Wiederkünfte Jesu in unserem Alltag und für seine große Wiederkunft am Ende der Zeiten heißt, hat im vergangen Jahrhundert kaum einer besser zum Ausdruck gebracht als der Friedensnobelpreisträger Albert Schweitzer. Der berühmte ›Urwalddoktor von Lambarene‹ war auch ein anerkannter Bibelwissenschaftler. Die folgende Schlusspassage seines Buchs zur Geschichte der Leben-Jesu-Forschung gehört für mich zum Großartigsten, was die Theologie im 20. Jahrhundert begriffen hat. Sie bündelt in sich alle Freiheit der Nachfolge Jesu, in die hinein uns ›Gott Vater‹ entlässt:
»Als ein Unbekannter und Namenloser kommt [Jesus] […] heute wieder zu uns, wie er am Gestade des Sees an jene Männer herantrat, die nicht wussten, wer er war. Er sagt dasselbe Wort: Du aber folge mir nach! Und er stellt uns vor die Aufgaben, die er in unserer Zeit lösen muss. […] Und denjenigen, die ihm nachfolgen, […] wird er sich offenbaren in dem, was sie in seiner Gemeinschaft an Frieden, Wirken, Kämpfen und Leiden erleben dürfen, und als ein unaussprechliches Geheimnis werden sie erfahren, wer er ist […]«
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Christian Bauer |
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