archivierte Ausgabe 6/2015 |
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Die Schriftleitung |
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Leseprobe 1 |
Allerheiligen |
III. Lesepredigt: Gottes Licht im Prisma unserer Geschichte (thematisch) |
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Ein kleines Kind sieht in einer Kirche die Darstellungen auf den Glasfenstern und sagt dann: »Heilige – das sind Menschen, durch die das Licht hindurchscheint.« Eine theologisch tiefsinnige Bemerkung. Kein geringerer als Joseph Ratzinger, der spätere Papst Benedikt XVI., hat es vor Jahren einmal so ausgedrückt: »In der Welt der Heiligen … wird das einfache, unanschaubare Licht Gottes zerlegt in das Prisma unserer menschlichen Geschichte hinein, sodass wir der ewigen Herrlichkeit und dem Lichte Gottes mitten in unserer menschlichen Welt, in unseren menschlichen Brüdern und Schwestern begegnen können.« (Joseph Ratzinger, Dogma und Verkündigung, Donauwörth 42005 [11973], 415). Im »Prisma« menschlicher Geschichte wird, so könnte man sagen, eine Ahnung von Gott möglich durch die vielfältig gefärbten Facetten konkreter Menschen. Das »unanschaubare« Licht Gottes spüren wir im Leuchten bzw. in der Wärme, die von Menschen ausstrahlen in unsere Geschichte.
Das Hochfest Allerheiligen weitet den Blick dabei über die ausdrücklich kirchlich »heiliggesprochenen« und im Laufe des Jahres liturgisch gefeierten Heiligen hinaus. Das Gedenken »aller Heiligen« wird so aber gerade nicht losgelöst von der Konkretheit bestimmter Personen; Allerheiligen kann vielmehr das Heiligen-Gedenken für uns noch konkreter werden lassen – nämlich dann, wenn wir Verbindungen entdecken zu unserer eigenen Lebensgeschichte. Eine erste Verbindung zu uns: Das heutige Fest macht darauf aufmerksam, dass Heilige uns viel näher sind, als uns das meist bewusst ist. Denn dass wir Gottes Licht »mitten in unserer menschlichen Welt, in unseren menschlichen Brüdern und Schwestern« begegnen, das konnten wir hoffentlich alle schon auf unseren eigenen Lebenswegen erfahren. Menschen haben mich so berührt, dass ich mein Leben in einem anderen, heilsamen Licht sehen kann. Das darf mir ein Zeichen dafür sein, dass Gottes Licht wie in einem Prisma auch unsere heutige Zeit, ja, noch konkreter: meine Lebenszeit erreicht.
Damit wird auch – eine zweite Verbindung – der innere Zusammenhang verständlich, in dem Allerheiligen mit dem morgigen Allerseelen-Tag steht. In ihrer Spannung eröffnen diese beiden Tage das Totengedenken, das den Monat November besonders prägt. Gerade im Blick auf die Menschen, durch die unserem eigenen Leben eine Ahnung von Gottes Licht geschenkt wurde, treibt uns doch die Sehnsucht um, dass sie nicht in der Finsternis des Todes verloren gehen. Die christliche Hoffnung setzt darauf, dass in der Vollendung bei Gott unsere Wege wieder zusammengeführt werden. Das ist so unvorstellbar, wie Gottes Licht »unanschaubar« ist. Aber wir dürfen hoffen, dass wir es genauso konkret erfahren werden, wie Gott uns durch diese Menschen hindurch schon auf unserem irdischen Lebensweg berührt hat. So beten wir mit Blick auf sie und alle Verstorbenen: »Das ewige Licht leuchte ihnen!«
Ein Drittes schließlich: Wenn es wirklich das »Prisma« unserer Geschichte ist, in das hinein sich Gottes Licht zerlegt, dann stehen wir vor der Frage, wie wir selbst durch unser Leben etwas davon ausstrahlen. In die »Gemeinschaft der Heiligen« sind wir alle durch die Taufe aufgenommen. Getaufte bekennen Jesus Christus als den »Sohn Gottes«, weil durch ihn in unvergleichlicher und unüberbietbarer Weise Gottes Licht in der Geschichte gegenwärtig wurde. In der Spur Jesu sollen auch wir durchlässig werden für Gottes Licht in unserer Welt hier und jetzt – zu unserem Glück und zum Wohl derer, die uns anvertraut sind.
Aber eine Frage liegt nahe: Überfordert uns das nicht, selbst in diesem Sinne »Heilige« zu werden – transparent für Gottes Licht in der konkreten Menschengeschichte? Gewiss: »Wir tun immer zu wenig, und das können wir nie aufholen. Aber dieses ›zu wenig‹, das wir sind, wird zum Glasfenster, durch das sein Licht hindurchscheint.« (Klaus Hemmerle/Wilhelm Breuning/Franz-Josef Bode/Erwin Dirscherl, Wie als Priester heute leben?, Stuttgart 2015, 29.) Nicht Überforderung, sondern Ermutigung ist uns dann das Vorbild aller Heiligen und die Verbundenheit mit ihnen – mit denen, die uns vorausgingen, und denen, die mitten unter uns leben. Diese Gemeinschaft feiern wir zeichenhaft gerade dann, wenn wir uns zur Eucharistie versammeln. Denn Eucharistie ist die Gemeinschaft am Heiligen. In dieser Gemeinschaft ist unsere Ahnung der Nähe Gottes verankert – auf dass eben auch unser »›zu wenig‹, das wir sind, zum Glasfenster [wird], durch das sein Licht hindurchscheint«.
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Martin Rohner |
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