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Die Schriftleitung
Leseprobe 1
Gründonnerstag
II. Geschlossene Gesellschaft oder Mahlgemeinschaft? (1 Kor 11,23–26; Joh 13,1–15)

Zielsatz: Den Hörern soll bewusst werden, dass aus der Feier der Eucharistie Gemeinschaft als Gabe und Aufgabe erwächst.


»Geschlossene Gesellschaft«

Das war ärgerlich. Ich wollte mit Freunden zum Essen gehen und habe mit ihnen vereinbart, dass wir uns vor dem Lokal treffen. Reservieren hielt ich nicht für notwendig, weil dort ausreichend Platz ist. Als ich ankam, musste ich aber an der Tür lesen: »Geschlossene Gesellschaft«. Damit hatte ich nicht gerechnet. Wir mussten draußen bleiben und ein anderes Lokal suchen.

Es war ärgerlich. Andererseits kann ich das auch gut verstehen. Da wollte vielleicht eine Familie mit Verwandten und Freunden einen Geburtstag feiern und dabei unter sich bleiben. Ein Betrieb begeht mit seinen Mitarbeitern ein Jubiläum. Der Anlass und die Zughörigkeit zum Betrieb stehen also im Vordergrund. Andere Gäste wären da fehl am Platz und zudem würden die Plätze auch fehlen.

»Geschlossene Gesellschaft« – das ist selten böse gemeint, klingt aber dennoch etwas negativ. Exklusiv im wahrsten Sinne des Wortes, denn die, die nicht dazugehören und nicht eingeladen sind, müssen bitte draußen bleiben. »Geschlossene Gesellschaft« – so lautet auch ein Theaterstück von Jean Paul Sartre. Es schildert, wie drei Menschen, die sich vorher nie gesehen haben, nach ihrem Tod in der Hölle zusammentreffen. Sie werden in einen Raum gesperrt und können sich darin nicht aus dem Weg gehen. Nach ein paar Fragen hin und her weiß jeder von jedem, was mit dem anderen los ist. Alle drei tragen Versagen und Schuld mit sich herum. Die Folge ist, dass keiner am anderen etwas Gutes sieht. Alle stufen sich gegenseitig als elende Versager ein. Indem sie einander die Fehler vorhalten, quälen sie sich bis zum Wahnsinn. Jeder will jedem alles zerstören. Sie können weder voneinander lassen noch voreinander f liehen. Töten können sie sich auch nicht, da sie ja bereits tot sind. Nacheinander versuchen sie den ohnehin vergeblichen Ausbruch, indem sie schreien oder an die Tür schlagen. Als sich dann doch plötzlich die Tür öffnet, erschrecken sie vor der vermeintlichen Falle der Freiheit und drängen sich wieder aneinander.

Zugegeben, es ist eine extrem negative Zuspitzung des Begriffs »Geschlossene Gesellschaft«, aber Sartre macht mit diesem Stück deutlich, dass es nicht nur eine Abgrenzung von und nach außen geben kann, sondern auch eine nach innen und das mit fatalen Folgen für das Zusammenleben der Menschen. Wenn Liebe, Angenommensein und vor allem Verzeihung fehlen oder sogar bewusst verweigert werden, dann wird Leben eingeschlossen und der andere wird zur Bedrohung.

Hingabe hält Gemeinschaft offen

Davor waren auch die ersten Christen nicht gefeit, besonders jene in der Gemeinde von Korinth. Sie standen in der Gefahr, eine »geschlossene Gesellschaft« zu werden. Die wohlhabenderen Gemeindemitglieder kamen zum Herrenmahl, das zunächst mit einem Sättigungsmahl begann, schon früh am Abend zusammen. Andere, die wegen der Arbeit erst später kommen konnten, waren davon ausgeschlossen und bekamen nur noch die Reste zu essen. Paulus weiß um dieses Problem und dass es um mehr als nur eine bessere Regelung geht. Um die Tendenz zu einer elitären Sondergemeinde aufzubrechen, setzt er ganz fundamental an. Er erinnert an das letzte Abendmahl Jesu und überliefert die Herrenworte. Damit will er nicht nur an den Ursprung christlicher Gemeinschaft erinnern, sondern er setzt den »Neuen Bund« Gottes in Jesus Christus als Lebensmaxime eines Christen an: Den Tod des Herrn verkünden, ihn also feiern und bezeugen, geht nicht ohne die Bereitschaft zur Hingabe. Und »Hingabe« bedeutete in dieser Situation: Vergesst die anderen nicht und lebt aus dem Geist Jesu! Das Herrenmahl feiern bedeutet ja nicht nur Gemeinschaft mit Christus, sondern auch Gemeinschaft mit allen, die sein Gedächtnis begehen. Wer Eucharistie feiert, muss den Kreis weit ziehen.

Und weil das wohl der Johannesgemeinde auch schwer fiel, macht es der Evangelist mit der Erzählung der Fußwaschung noch deutlicher: sich bücken und dienen, das öffnet füreinander. Sich besser und würdiger als die anderen zu halten oder gar sich gegenseitig Fehler vorhalten, das verschließt. Der Herr hat ein Beispiel gegeben, damit alle, die ihm nachfolgen und zu ihm gehören, auch so handeln. Zuerst muss das Verhältnis zueinander nach innen stimmen und von der Liebe Christi geprägt sein, dann erst wird auch die Wirkung nach außen nicht ohne Folgen bleiben. Dienende Liebe hält zusammen und offen für andere.

Kirche: geschlossene Gesellschaft oder Mahlgemeinschaft?

Das gilt bis heute und damit verbunden die selbstkritische Frage, wie Kirche sich zeigt und wahrgenommen wird: als geschlossene Gesellschaft oder als offene Gemeinschaft?

Wir laden ein, schließen aber auch aus. Wir betonen gerne, dass alle willkommen sind und machen dann doch Unterschiede. Evangelische Christen können natürlich den Gottesdienst mitfeiern, aber zur Kommunion dürfen sie nicht gehen. Nicht anders ist es mit Geschieden-Wiederverheirateten. Diese Fragen haben eine lange und komplizierte Geschichte und im Blick auf das Sakrament, das wir das »Allerheiligste« nennen, ist ein hohes Maß an Verantwortung notwendig. Dennoch bleiben ein bitterer Beigeschmack und die Gefahr, dass Kirche nur noch als geschlossene Gesellschaft gesehen wird. Die Abbrüche in vielen Bereichen des kirchlichen Lebens und die größer werdende Distanz von immer mehr Menschen bestärkt leider auch noch den Eindruck, dass Kirche auf dem Rückzug wäre und manche deshalb der kleinen Herde der hundertprozentig Überzeugten lieber den Vorzug geben möchten.

Der heutige Abend hindert uns aber daran. Am Gründonnerstag soll die ganze Pfarrgemeinde die Messe vom Letzten Abendmahl miteinander feiern. In diesem einen Gottesdienst soll die ganze Gemeinde zusammenkommen und sich als Gemeinschaft erfahren, die ihren Ursprung in diesem Mahl hat. An jeden Einzelnen stellt dieser Abend daher zunächst die Frage: Was bedeutet mir dieser Ursprung damals und wie wichtig ist es für mich, mich daran zu erinnern und das Gedächtnis daran zu feiern? Wie nehme ich meinen Platz in dieser Gemeinschaft ein?

Und wie schätzen wir uns als Pfarrgemeinde ein, wenn wir Gottesdienst feiern? Sind wir offen und einladend? Kann man sich bei uns willkommen und angenommen fühlen oder wirken wir abweisend? Sind wir eine geschlossene Gesellschaft oder eine dienende und offene Gemeinschaft?

Mahlgemeinschaft

Heute besonders und immer wenn wir Eucharistie feiern, gilt: Wir ziehen uns nicht zurück, um ruhig, ungestört und würdig feiern zu können. Wir schließen uns auch nicht ein, um unter uns zu bleiben und uns von der Welt abzusondern. Wir sind nicht einfach nur eine Interessensgemeinschaft oder haben durch Taufschein und Wohnort die Zugehörigkeit zur Kirche und einer Pfarrei. Gott selbst verbindet uns miteinander, der uns in Jesus Christus und durch den Heiligen Geist zu dieser Gemeinschaft berufen hat. Sie eröffnet den Raum, in dem wir miteinander glauben, hoffen und lieben – nach innen, aber auch nach außen, hinein in die Welt, in die Gesellschaft, in die Enge und Verschlossenheit, die es durch Ausgrenzung, Ablehnung und Schuldzuweisung gibt.

Als Eingeladene dürfen auch wir selbst wieder andere einladen. Hier findet jeder Platz, ob glaubend oder zweifelnd, begeistert oder träge. Kirche hat sich ja immer schon als Gemeinschaft der Heiligen und der Sünder verstanden. Wie wir da sind, so werden wir vom Herrn angenommen und beschenkt er uns mit seinem Leben, das er aus Liebe für alle hingegeben hat.

Zu Recht heißt es ja in der Präfation von der heiligen Eucharistie: »Dieses erhabene Geheimnis heiligt und stärkt deine Gläubigen, damit der eine Glaube die Menschen der einen Erde erleuchte, die eine Liebe sie alle verbinde. So kommen wir zu deinem heiligen Tisch, empfangen von dir Gnade um Gnade und werden neugestaltet nach dem Bild deines Sohnes« (Messbuch, Präfation von der heiligen Eucharistie II).

Möge doch immer mehr wahr werden, was wir in dieser Stunde beten und feiern!

Thomas Vogl

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