archivierte Ausgabe 2/2017 |
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Die Schriftleitung |
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Leseprobe 1 |
Zweiter Fastensonntag |
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II. Österliche Verklärungen (Mt 17,1–9)
Mark Zuckerberg, die Jesusjünger, Du und ich Mark Zuckerberg hatte irgendwann einmal als Student eine Wahnsinnsidee. Den einen großen Geistesblitz, die eine Eingebung, die alles ändern sollte. Eine Internetseite, mit der man sich untereinander vernetzen und Meinungen, Bilder und Texte austauschen kann. Mit der man alte Freunde wiederfinden und neue gewinnen kann. Facebook war geboren, und Zuckerberg wurde, wie wir heute wissen, ein steinreicher Mann. Man sagt, jeder Mensch hat im Lauf seines Lebens mindestens eine solche grandiose Vision, die sein Leben von Grund auf ändern könnte. Die allermeisten Menschen freilich merken es nie oder allerhöchstens dann, wenn es längst zu spät ist. Leider ist es allzu oft so: Nur in der Rückschau wird klar, was damals die Gunst der Stunde war. Erst wenn der Kairos verflossen ist, wird man seiner gewahr. Hinterher ist man immer schlauer.
Betrachtet man das heutige Tagesevangelium durch die Brille der historischkritischen Bibelauslegung, gibt es durchaus Parallelen. Sicher, Marc Zuckerberg ist alles andere als eine Lichtgestalt. Er ist kein Heilsbringer, auch wenn er unlängst angekündigt hat, einen Großteil seines Geldes spenden zu wollen. Er ist einfach ein abgebrühter Geschäftsmann mit bisweilen durchaus zweifelhaftem Geschäftsgebaren. Und die Jünger Jesu waren auch nicht auf der Suche nach dem großen Geld, sondern sie erfuhren sich von einem Sinn ergriffen, der alles – das Dunkle wie das Helle – zu tragen vermag. Aber dieses Gefühl, erst im Nachhinein ganz zu verstehen, was da geschehen ist, was die Zeichen der Zeit wirklich gewesen sind, das teilen die ersten Christen mit den allermeisten von uns. Die konkrete Situation ist zuallermeist ambivalent. Wir sind gezwungen, uns zu entscheiden, zu handeln, nach rechts oder links zu gehen. Und wissen doch nicht genau, was uns erwartet. Wir müssen es wagen. Erst in der Rückschau erkennen wir, dass es gut gewesen ist.
Aus einer solchen Rückschau heraus ist das heutige Tagesevangelium entstanden. Es ist, wie die Exegeten sagen, nachösterlich, das bedeutet, es will aus der Perspektive der Auferstehungserfahrung heraus beschreiben, wer dieser Jesus von Nazaret ist und was es mit ihm auf sich hat. Die Jünger, und mit ihnen der Evangelist Matthäus, blicken mit »Osteraugen« (ein wunderbares Wort von Klaus Hemmerle) auf die Geschichte mit Jesus von Nazaret zurück. Von Ostern her ist ihnen klar: Dieser Jesus war nicht nur ein Prophet, und er war auch nicht nur ein Gesetzeslehrer. Er lebt. Er ist der Sohn des lebendigen Gottes. Er ist der Messias, der Gesalbte Gottes, der Christus.
Selbstsein und Leuchten Literarisch haben wir es hier mit einer sogenannnten Christophanie zu tun, einer Erzählung also, die die Erscheinung Jesu in göttlicher Herrlichkeit zum Inhalt hat. Sie will den Leserinnen und Lesern des Matthäus-Evangeliums einen Hinweis darauf geben, wer dieser Jesus ist. Der entscheidende Satz, die zentrale Aussage unseres Textes lautet: »Das ist mein geliebter Sohn; auf ihn sollt ihr hören«. Alle anderen Motive sind kunstvoll um diese eine Kernbotschaft herum arrangiert.
Das erste Motiv, das sich darum rankt, ist das der lichthaften Verklärung. Jesus wird vor den Augen der drei Jünger verwandelt, verklärt in eine lichthafte Gestalt. Nun ist Verklärung an sich ja ein durchaus zweischneidiger Begriff: Wer etwas verklärt, wird oft genug blind für die Realität. Verklärung geht nicht selten mit Verblendung einher. Wer zum Beispiel die Vergangenheit verklärt, weigert sich, das Sperrige und Mühsame, das auch gewesen ist, zur Kenntnis zu nehmen. Zwischen Verklärung und Verdrängung sind die Brücken eng. Gleiches gilt für den, der das Morgen verklärt, in den schönsten Farben ausmalt und dabei den schwierigen Weg, der noch zu gehen ist, übersieht. Auch zwischen Verklärung und Verführung sind die Brücken eng.
Doch hier ist die Situation eine andere. Hier zeigt das Motiv der Verklärung nicht an, dass eine fade Realität durch Verdrängung oder Verführung übertüncht werden soll. Hier kommt vielmehr das, was eigentlich ist, ganz und unverkürzt zum Vorschein. Die Schlacken und die Schatten fallen ab, das Eigentliche scheint auf. Die Metamorphose, der Jesus unterzogen wird, macht aus ihm nicht einen anderen, sondern lässt deutlich werden, wer er in Wirklichkeit ist: die Gegenwart Gottes in Person. Nicht nur seine Kleider, so beschreibt es der Evangelist, wurden »blendend weiß wie das Licht«, sondern auch »sein Gesicht leuchtete wie die Sonne«. In dieser Szene lässt Matthäus die eigentliche, die wahre Identität Jesu wie in einem Brennglas aufscheinen. Und bei aller literarischen Stilisierung, die das Verklärungsmotiv darstellt, ist eines doch auch für unsere Situation entscheidend und bleibend wahr: Wer wirklich ganz er oder sie selbst ist, wer mit sich im Reinen ist und in sich ruht, der oder die beginnt gleichsam von innen her zu leuchten, strahlt einen geheimnisvollen Glanz aus – wird von innen her verklärt. Wir alle kennen solche Menschen, die, auf wunderbare Weise eins mit sich, eine Wärme und ein Leuchten ausstrahlen, das anziehend wirkt.
Für Christinnen und Christen hat Selbstidentität viel mit Gott zu tun. Nicht nur bei Jesus. Hier ist es offensichtlich: Er ist Gott der Sohn. Seine menschliche Identität ist zugleich – unvermischt und ungetrennt – die Identität Gottes. Das ist so, weil er in einer Intensität transparent werden kann auf Gott hin, die Gott selbst unter uns anwesend sein lässt in Raum und Zeit. Doch auch für uns gilt, dass unser Selbstsein und unsere Gottverwiesenheit im gleichen, nicht im gegenläufigen Maß wachsen. Je mehr ich bei Gott bin, desto mehr bin ich zugleich bei mir. Je mehr ich Gott in mir Raum greifen lasse, desto mehr finde ich zu mir selbst. Mich ganz durchlässig machen auf Gottes Geist – das ist das Geheimnis jener Heimat der Identität, die allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war (Ernst Bloch). Unterwegs sein mit Gott und gerade so unterwegs sein zu sich, um für andere Licht, Leuchte und Wärme, eben ein Widerschein von Gott her sein zu können – das ist das Geheimnis der Verklärung. Verklärung bedeutet nicht, ein anderer, eine andere zu werden. Verklärung bedeutet, die Wahrheit über uns aus der liebenden Perspektive Gottes geschenkt zu bekommen und an uns selbst – hautnah – als heilend, rettend und so von innen her verwandelnd erfahren zu dürfen.
Wohnen und Wandern Das zweite Motiv lenkt den Blick weg von Jesus und hin zu den Jüngern, besonders natürlich zu Petrus. Hier wird deutlich: Es ist gar nicht so einfach, dieses Verwandlungs- und Verklärungsgeschehen zuzulassen, es auszuhalten. Man hat viel gerätselt, was es mit Mose und Elija, diesen beiden zentralen Gestalten aus dem Alten Testament, auf sich hat, die plötzlich auftauchen und mit Jesus reden. Fast noch mehr fragte man sich, wie die drei Hütten zu verstehen sind, die Petrus für Jesus und seine beiden himmlischen Begleiter bauen will. Manche wollen darin eine Anspielung an das Offenbarungszelt sehen, in dem – dem Buch Exodus zufolge – Gott mit Mose spricht und sich so den Israeliten offenbart. Andere interpretieren das Verhalten des Petrus als eine simple Übersprungreaktion, geboren aus der Überforderung mit der Situation. Die Evangelisten Markus und Lukas, die in ihren Evangelien die Verklärungsgeschichte auch erzählen, tadeln Petrus für dieses in ihren Augen törichte Ansinnen. Er habe es halt nicht besser gewusst (vgl. Mk 9,6; Lk 9,33).'
Für mich ist der Wunsch des Petrus nach drei Hütten so nachvollziehbar wie zwecklos. Petrus will den Augenblick festhalten: Verweile doch, du bist so schön! Doch weder die Gegenwart Gottes, noch unsere Selbstwerdung im Licht dieser Gegenwart lassen sich von uns kontrollieren oder fixieren. Gott ist treu, er geht mit uns mit, begleitet und trägt uns auf unserem Weg. Aber er bleibt frei und unverfügbar dabei. Deus semper maior, auch in seiner Zuwendung ist Gott der je Größere, unnahbar Geheimnisvolle. Der Einbruch des Messianischen, des Endgültigen in unsere Zeit lässt sich von uns nicht kanalisieren, und sei es Petrus selbst, der solches versucht. Vor allem aber: Gott braucht keine Zelte aus Menschenhand, denn er selbst hat sich längst ein Zelt gebaut – in der Person des Jesus von Nazaret, in Dir und in mir, in jedem Menschen, der ein Abbild Gottes ist, ganz besonders aber in den Armen und Bedrängten, den besonderen Lieblingen Gottes. Den Himmlischen hält es nicht auf seinem Berg, es zieht ihn hinab ins Tal, in die Ebene, ins Andere seiner selbst. Dort, im Niedrigen und Alltäglichen, besonders aber im Antlitz seiner geschundenen Kinder, will er gesucht und gefunden werden.
Gleiches gilt für die seltenen Momente, in denen wir uns ganz eins mit uns und unserer Geschichte wissen, in denen wir es wirklich einmal mit uns selbst aushalten. Wir können diese kostbaren Augenblicke der Fülle nicht auf Dauer bewohnen, können uns nicht darin häuslich einrichten, sondern wir müssen sie nehmen als das, was sie wohl sind: Vorschein einer verheißenen, letztlich von Gott her geschenkten Heimat der Identität, die wir hier und jetzt noch nicht endgültig besitzen, die uns aber leiten und weisen will bei unserem Wandern durch die Zeit. Wir können unsere Identität nicht in Zelte packen, sondern müssen sie durch die Zeit erwandern. Auch in diesem Sinn kann man das Programmwort von Papst Franziskus lesen: »Die Zeit ist mehr wert als der Raum« (EG 222).
Hören und Handeln Nicht jedem ist eine solche Epiphanie, wie sie den drei Jüngern auf dem Berg widerfuhr, geschenkt. Nicht jeder ist ein Mystiker. Da ist es gut, dass – wenn wir den Text beim Wort nehmen – Gott selbst ins Wort bringt, was sich da im Lichtglanz als Vorschein der Vollendung ereignet: »Das ist mein geliebter Sohn – auf ihn sollt ihr hören.« Als die Jünger das hören, bekommen sie es mit der Angst zu tun und fallen zu Boden. Vielleicht ist es ein Trost für die Nüchternen, die Alltagsgebundenen unter uns: Erst nachdem das Lichterlebnis wieder vorbei ist, wird den Jüngern eine wirkliche Begegnung mit Jesus ermöglicht. Erst dann folgt ihre Berührung durch Jesus und seine Ermutigung: »Steht auf, habt keine Angst.« Vielleicht ist ja das das eigentlich Geheimnisvolle unserer Gotteserfahrungen: Dass sie im Alltag möglich sind. Dass sie genau da wirklich werden, wo uns einer anrührt und berührt, wo wir aufstehen und die Angst überwinden. Gott erfahren wir im Gehen nach unten, auf den Wegen des Alltags. Das ist, was Karl Rahner einmal die Mystik des Alltags genannt hat. Gott erfahren wir nicht jenseits unseres Alltags, sondern in unserem Alltag und vermittels diesem – als jene Tiefendimension, die alles trägt und auf geheimnisvolle Weise mit Sinn, Licht und Hoffnung erfüllt.
Natürlich haben wir auch in dieser Mystik des Alltags Gott niemals in der Hand. Auch in unserem Alltag ist es sinnlos, Gott in die Zelte unserer Konzepte und Weltbilder sperren zu wollen. Wir sind darauf angewiesen, die Zweifel zuzulassen und das Suchen und Fragen auszuhalten. Glauben heißt, sein Herz zu wagen. Wer nie zweifelt, muss sich fragen lassen, ob er wirklich glaubt. Entsprechend wissen wir nicht so, wie wir wissen, dass eins und eins zwei ergibt, dass Gott es ist, der sich in diesem oder jenem Moment als uns nahe erwiesen hat. Auch Gotteserfahrungen sind Glaubensakte – und damit immer angefochten, unter Irrtumsvorbehalt, auf Risiko und auf Hoffnung hin.
Ereignisse, die uns widerfahren, müssen wir deuten, damit sie uns zu Erlebnissen werden können. Und unsere welthaften Erlebnisse müssen wir im Licht von Glaube, Hoffnung und Liebe deuten, damit sie uns zu Erfahrungen Gottes werden können. Alles hängt daran, ob wir diese Deutung zulassen oder nicht, ob wir den Mut dazu haben und uns die Freiheit nehmen oder nicht. Eines aber haben wir, das bleibt – auch dann, wenn unsere Gipfelerlebnisse längst vergangen oder noch nie dagewesen sind, und auch dann, wenn wir an den Ambivalenzen unserer Alltagserfahrungen zu verzweifeln drohen. Was bleibt, ist das Wort. »Auf ihn sollt ihr hören.« Hören wir und handeln wir danach.
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Matthias Reményi |
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