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Die Schriftleitung
Leseprobe 1
Zweiter Fastensonntag
II. Kommt da noch was? (Gen 15,5–12.17–18; Lk 9,28b–36)
Küchenkräuter-Philosophie

»Am Morgen am Küchentisch sitzend und über den Rand der eigenen Kaffeetasse blickend zu den anderen im Raum, zu den vertrauten Möbeln, dem Geschirr, den welken Küchenkräutern in ihren Töpfen, zu der gepackten Tasche, mit der man gleich zur Arbeit gehen wird. Wird das nun jahrelang alles so weitergehen oder kommt da noch was Neues?«1

Diese alltägliche Morgenszene lese ich im Buch Die Mitte des Lebens. Es stammt von Barbara Bleisch, einer Schweizer Philosophin und Moderatorin. 51-jährig schreibt sie über die Mitte des Lebens. Eine Lebensphase, die in der Philosophie, aber auch im kirchlichen Leben überraschend wenig Aufmerksamkeit findet. Die Lebensmitte ist so etwas wie der »Normalfall« des Menschenlebens. Kindheit und Jugend sind im Blick, da tut sich viel an Aufbruch und Entwicklung. Die Kirche möchte mit Taufe, Erstkommunion und Firmung dabei sein. Auch das Alter ist im Blick. Es macht viel Kopfzerbrechen, besonders wenn‘s im Kopf nachlässt und der Körper schwächer wird. Kirche will mit Krankensalbung und – wenn es soweit ist – mit dem Dienst der Beerdigung dabei sein. Aber dazwischen? Tut sich da nichts? Gibt es hier keine Entwicklung, keine Lebenswenden?

Auf dem Cover von Barbara Bleischs Buch ist ein Berg zu sehen. Die Lebensmitte erscheint wie das Hochplateau. Mann oder Frau hat erreicht, was man wollte. Mann oder Frau ist beruflich und privat etabliert. Es geht so dahin. Noch einmal Bleisch: »Ab einem gewissen Alter ist das Leben ja tatsächlich öfter von Repetition und Routinen geprägt: die immergleichen Arbeitstage, der Samstagseinkauf, der Tatort am Sonntag, wiederkehrende Geburtstage, Sommerurlaube und Weihnachten mit den Verwandten, alles immer wieder von vorn.« Und eines Morgens der müde Blick auf die welken Küchenkräuter mit der Frage: War’s das? Bleibt das so, bis die voranschreitende Zeit langsam zum Abstieg vom Berg ruft und der Lebensabend dämmert? Oder kommt noch was Neues?

Abram und die Sterne


Abram ist ein Mann in der Lebensmitte. Wenn man das biblisch-astronomische Lebensalter von 175 Jahren einmal ernst nimmt, ist er genau in der Mitte seines Lebens, als er sich mit dem Schicksal abzufinden beginnt, dass er wohl keine Familie mehr gründen und keine Kinder mehr aufwachsen sehen wird. Er scheint sein Hochplateau erreicht zu haben. Mehr geht halt nicht in diesem Leben. Aber dann wird sein Blick noch einmal in den Himmel gelenkt, und er fühlt sich von Gott angespornt, weiter zu träumen und nach den Sternen zu greifen: »Sieh doch zum Himmel und zähl die Sterne, wenn du sie zählen kannst.« (Gen 15,5) Abram ist in der Mitte seines Lebens noch einmal aufgebrochen in ein neues Leben. Es war ein Risiko, auszuziehen aus dem Land des sicheren Besitzes in ein Land der bloßen Verheißung. Aber er traute Gott, dass in diesem »weniger« an Sicherheit ein »mehr« liegt.

Jesus und die Wolke


Mit Petrus, Jakobus und Johannes begleiten wir im Evangelium Jesus auf einen Berg. Es ist das Hochplateau seines Lebens. Die sogenannte Verklärung auf dem Berg liegt dramaturgisch in der Mitte des Lukasevangeliums – nach dem Frühling in Galiläa, vor dem langen »Abstieg« nach Jerusalem. Es ist ein Gipfelereignis für Jesus und für die drei Jünger, die das miterleben dürfen. Wie bei Abram geht der Blick weit und hoch in den Himmel. Gott zeigt Jesus dort oben, was er im tiefsten seiner Existenz ist: der auserwählte, der geliebte Sohn. Das ist für Jesus eine Bestätigung, die ihn zunächst einmal sprachlos macht. Aber er zieht daraus die Kraft, um weiterzugehen auf einem Weg, der am Gipfelpunkt noch lange nicht am Ende ist.

Mittlerer Zustand oder Fülle?

Menschen, egal in welchem Alter, fragen sich bisweilen: War’s das schon? Bin ich zufrieden so, wie es ist? Oder gibt es da noch mehr? Natürlich geht beruflich, finanziell, leistungs- und freizeitmäßig immer noch mehr. Aber die Frage hier hat einen anderen Ton. Vielleicht so: Gibt es eine Seite von mir, die noch nicht zum Leben gekommen ist? Gibt es eine schlummernde Sehnsucht, die danach drängt, Realität zu werden?

Charles Taylor, ein kanadischer Philosoph, der seine katholische Prägung kaum verleugnen kann, spricht hier ganz biblisch von dem Streben nach »Fülle«, das allen Menschen irgendwie gemeinsam ist. Ganz egal, ob sie religiös sind oder nicht. Eine Vorstellung davon, was ein erfülltes und wirklich lebenssattes Leben wäre, haben die meisten. Und doch beobachtet Taylor, dass sich viele Menschen irgendwann im Leben in einem »mittleren Zustand« einpendeln. Der Absturz in die innere oder äußere Krise ist nicht so unwahrscheinlich, wie es scheint. Und das ganz große Glück ist doch ein Traum, den man mit den Jahren ausgeträumt hat. Viele leben in einem »mittleren Zustand«. Es ist vielleicht nicht der ganz große Wurf – und es ist auch nicht die Katastrophe. Es ist, wie es ist. Es ist wie die bildliche Morgenszene: eine Mischung aus gutem Kaffee und welken Küchenkräutern …

Dieses Leben, so wie es eben geworden ist, in all seiner Alltäglichkeit zu schätzen und es nicht schlechtzureden, nur weil es immer »besser« sein könnte, das ist eine geistliche Haltung; das zu schätzen, was mir zugewachsen ist und wofür ich Verantwortung übernommen habe. Auch eine geistliche Haltung ist es, offen zu bleiben für das, was noch an Neuem in mein Leben kommen will; die großen Fragen und den Wunsch nach Fülle nicht vorschnell aufzugeben – und nicht zu vergessen, den Blick über Kaffeetasse und Küchenkräuter hinweg auch ab und an wieder auf die Sterne zu richten. Vielleicht ist das schon recht nahe an dem, was ein »erfülltes« Leben wäre: das Alltägliche lieben zu lernen – und doch offen zu sein für ganz Außeralltägliches; und das Leben so gut es geht zu feiern, denn es vergeht so schnell.

Barbara Bleischs Buch Mitte des Lebens ist kein Ratgeber für die Midlife-Crisis. Es ist vielmehr eine Anleitung zur Erkundung der eigenen Lebensmitte. So können die »mittleren Jahre«, aber eigentlich jede Lebensphase zur erfüllten Zeit werden. Vorausgesetzt – so Bleisch –, dass wir den existentiellen Fragen nicht aus dem Weg gehen.

Anmerkungen:
1 Barbara Bleisch, Mitte des Lebens. Eine Philosophie der besten Jahre, München 2024, S. 199.

Stefan Walser

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