archivierte Ausgabe 3/2014 |
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Die Schriftleitung |
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Leseprobe 1 |
Fünfter Sonntag der Osterzeit – 18. Mai 2014 |
II. Keine Angst vor Reibereien (Joh 14,1–12) |
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Zielsatz: Ich möchte meinen Hörerinnen und Hörern Mut machen, Auseinandersetzungen unter Christen um den richtigen Weg nicht aus dem Weg zu gehen. Denn nur aus lebendigen Steinen bildet sich das Haus, in dem Jesus wohnen kann.
Lebendige Steine in Kafarnaum
Jesu Haus gibt es noch. Wer ins Heilige Land pilgert, kann es sehen, zumindest das, was davon übrig ist. Wo es sich befindet? Nicht in Nazaret, wo Jesus aufwuchs, sondern in Kafarnaum, einer Stadt im Nordwesten des Sees Gennesaret.
Jesus machte Kafarnaum zu seinem Stützpunkt, nachdem er von zu Hause weggegangen war, um das Evangelium zu verkündigen. In Kafarnaum steht die Ruine einer Synagoge aus dem 3. Jahrhundert. Sie wurde errichtet auf dem Fundament einer älteren Synagoge. In ihr hat Jesus gelehrt, wie der Evangelist Markus erzählt (Mk 1,21–28). Neben der Synagoge sind noch eine Menge Gebäude zu sehen oder das, was von ihnen übrig geblieben ist. Eines der Häuser – so eine alte Überlieferung – gehörte Simon Petrus. Hier hat Jesus Simons Schwiegermutter geheilt, hier hat er, zumindest zeitweise, gewohnt. Es ist »sein« Haus in Kafarnaum geworden.
Viele der Gebäude in der Stadt sind gebaut aus kleinen, schwärzlichen Steinen, ohne Mörtel dazwischen. »Lebendige Steine« nannten sie die Leute damals, so sagen Kenner der antiken Bauweise. Die Handwerker rieben die Steine so lange aneinander, bis sie perfekt passten. Und darum war auch kein Mörtel notwendig.
Lebendige Steine in der Jerusalemer Gemeinde
»Lasst euch als lebendige Steine aufbauen zu einem geistlichen Haus«, heißt es heute in der Lesung aus dem ersten Petrusbrief. Ob Petrus, dem der Brief zugeschrieben wird, auch an die Bauten seiner Heimatstadt gedacht hat? »Lasst euch als lebendige Steine aufbauen zu einem geistlichen Haus.« Könnte das nicht auch meinen: Wenn ihr ein Haus werden möchtet, in dem der Herr selbst wohnen kann, dann gehört es auch dazu, dass ihr euch aneinander reibt? Jedenfalls ist das schon in der frühen Kirche so. Die Lesung aus der Apostelgeschichte erzählt davon. Zoff in der Gemeinde von Jerusalem. Dort kümmern sich die Zwölf mit Petrus an der Spitze im Grunde um alles: Sie predigen, leiten die Gottesdienste, organisieren, machen Sozialarbeit. Unter anderem sorgen sie dafür, dass die Armen in der Gemeinde gut über die Runden kommen. Doch nun gibt es eine peinliche Panne: Die Zwölf vergessen bei der täglichen Versorgung die Witwen der Hellenisten. Die Hellenisten sind Juden, die nicht aramäisch, sondern griechisch sprechen und von denen sich viele zu Jesus Christus bekehrt haben. Machen die Hellenisten nun einen auf beleidigt, spalten sich ab und gründen ihre eigene Gemeinde?
Nichts von alledem: Die Hellenisten »begehren auf«, heißt es in der Apostelgeschichte. Das heißt: Sie proben den Aufstand. Sie wehren sich, und zwar lautstark. Sie sprechen offen aus, was sie stört, streiten mit den Zwölf. Die »lebendigen Steine« reiben sich aneinander. Doch am Ende kommt die Jerusalemer Gemeinde zu einem guten Ergebnis. Die Zwölf sehen ein, dass sie die vielfältigen Aufgaben nicht mehr alleine geregelt bekommen. Und darum entschließen sie sich, ein neues Amt zu schaffen: die Diakone. Die Apostel verlegen sich fortan aufs Beten und Predigen, und die Diakone übernehmen das Organisieren. Die Gemeinde gibt sich eine veränderte Ordnung, mehr Leute werden beteiligt, und dadurch wird sie noch mehr zu einem geistlichen Haus, einem Haus, in dem der Herr wohnen kann.
Lebendige Steine in der Kirche heute
Viele Reibungsflächen gibt es auch heute in der Kirche. Das fängt schon in deren kleinster Zelle an, in der Familie. Beispiel: Ein Kind kommt zur Welt, die Monate vergehen, und die Großeltern fragen einander: »Wann wird das Baby endlich getauft?« Die Eltern wiederum denken: »Wir wollen warten, bis das Kind mitbekommt, was bei der Taufe geschieht.« Aber niemand redet offen darüber. »Ich will ja keinen Streit«, heißt es dann. Klar dürften da zuerst die Fetzen fliegen: »Was mischt ihr euch da ein?« Doch vielleicht kommen Eltern und Großeltern dann zu den Fragen, um die es eigentlich geht: Wie kann heute ein Kind am besten in den Glauben hineinwachsen? Was können die Jüngeren und was können die Älteren dazu beitragen, und wie können sie sich gegenseitig ergänzen? Ein solches Gespräch führt die Generationen zusammen. Keine Angst vor Reibereien also.
Das gilt auch für unsere Gemeinden. Anlässe zum Streit gibt es gerade jetzt genug. Denn in allen Bistümern stehen große Strukturreformen an. Die Gründe kennen Sie, und viele von Ihnen spüren sie schmerzlich: Es gibt weniger Priester, weniger Frauen und Männer in einem kirchlichen Beruf, weniger Menschen, die sich ehrenamtlich engagieren. Pfarreien werden zusammengelegt, die Wege zum nächsten Gottesdienst werden weiter. »Das ist nicht mehr meine Gemeinde », sagen manche und überlegen, sich zurückzuziehen. Die Reaktion ist verständlich. Doch ob es nicht lohnender wäre, zu bleiben, miteinander ins Gespräch zu gehen, darum zu ringen, was Gott der Kirche in Deutschland dadurch sagen, welche neuen Wege er ihr zeigen könnte? Wer weiß, ob dann nicht auch heute solche guten Ideen herauskommen wie damals bei der »Erfindung« der Diakone in den dreißiger Jahren des ersten Jahrhunderts: Ideen, wie Laien und Priester in den neuen Einheiten am besten ihre Talente entfalten und in ein großes Ganzes einbringen können. Das wird nicht ohne Reibereien geben. Doch es könnte passieren, dass wir gerade auf diese Weise eine Gemeinschaft mit Ausstrahlung werden, eine Gemeinschaft, die fähig ist, wie Papst Franziskus sagt, »die Herzen der Menschen zu wärmen«.
Keine Angst vor Auseinandersetzungen auch in der Ökumene. Natürlich wünscht sich niemand mehr die Zeit zurück, als Christen verschiedener Konfessionen einander bekämpften. Doch habe ich den Eindruck: Oft bringt man mögliche kontroverse Themen einfach nicht mehr zur Sprache, aus Angst, ja nicht irgendwelche Konflikte zu provozieren. Doch die Einheit kann nur wachsen, wenn sich die Christen wirklich interessieren für die Art und Weise, wie der jeweils andere glaubt und wie er aus seinem Glauben heraus betet und handelt. Auch wenn sich dann die Unterschiede erst so richtig zeigen. Ich finde: Es müssten in unseren Gemeinden viel mehr Gespräche zwischen evangelischen, katholischen oder auch orthodoxen Christen geben, Gelegenheiten, von sich zu erzählen, gewissermaßen einander die Türen aufzumachen und die geistlichen Wohnungen zu zeigen. Klar sieht da keine aus wie andere, ist die Einrichtung verschieden. Nicht alles wird jedem gefallen. Mag sein, dass ich vom anderen darauf aufmerksam gemacht werde, wo es in meiner Wohnung Renovierungsbedarf gibt. Doch nur auf diese Weise werden die verschiedenen Wohnungen einladender. Und nur auf diese Weise ruckeln wir uns zu einem gemeinsamen Haus zusammen.
Jesu Bau aus lebendigen Steinen werden
In Kafarnaum ist von Jesu Haus nicht mehr viel zu sehen: tote Steine überall. Macht nichts. Gehen wir heute ans Werk, und bauen wir ein Haus, geschichtet aus lebendigen Steinen. Und Jesus wird sich freuen und sagen: »Heute will ich in eurem Hause zu Gast sein.«
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Volker Sehy |
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