archivierte Ausgabe 3/2020 |
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Die Schriftleitung |
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Leseprobe 1 |
Vierter Sonntag der Osterzeit |
I. »Ich bin eine Mission« (Papst Franziskus) (Joh 10,1–10) |
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Statio Ostern geht es um das volle Leben. Möchten Sie das: leidenschaftlich, verletzlich, neugierig, gefährlich leben? Oder lieber wohltemperiert, abgemessen, ausgeglichen und gut dosiert? Menschliches Leben ist ausgespannt zwischen dem Wunsch nach Sicherheit und dem Mut zum Wagnis. Was bestimmt uns? Worauf setzen wir? Im heutigen Osterevangelium wird uns »Leben in Fülle« verheißen. Lassen wir uns heute durch die Worte der Heiligen Schrift, die Feier der Eucharistie und unsere Verbundenheit miteinander zu einer größeren Lebendigkeit ermutigen. Und preisen wir ihn im Kyrie-Lied, der uns ins Leben ruft.
Siegfried Kleymann
Haben und Sein (Erich Fromm) Erich Fromm war ein bekannter Psychologe des 20. Jahrhunderts. Neben der »Kunst des Liebens« ist »Haben und Sein« sein bekanntestes und einflussreichstes Buch. Er zeigt darin, wie sehr unsere Gesellschaft vom Haben und Haben-Wollen bestimmt ist. Der Mensch, so sagt er, ist Diener des Wirtschaftssystems, und er will immer mehr haben, weil das System es so vorsieht. Er ist dadurch sich selbst entfremdet. Er wird krank und unglücklich. Fromm stellt dem die Existenzweise des Seins gegenüber. Der Mensch definiert sich hier nicht über seinen Besitz, über das, was er hat, sondern darüber, was er ist. Hier erlebt er, statt zu horten. Hier ist er ganz bei sich und den anderen. Hier bringt er seinen Wesenskern zur Entfaltung.
Die sieben Ich-bin-Worte Jesu Dieser Gegensatz von »Haben und Sein« kommt mir in den Sinn, wenn ich an die sieben »Ich-bin-Worte« Jesu denke. Sie sind eine Besonderheit des Johannesevangeliums und einmalig im Neuen Testament. Jesus identifiziert sich hier mit bestimmten Grundgegebenheiten, nach denen der Mensch sich sehnt, die wichtig für ihn sind, damit sein Leben gelingt: lebensnotwendige Nahrung (»Brot«), Orientierung (»Licht« und »Weg«), Führung (»Hirte«), Gemeinschaft (»Weinstock«) und Zukunft (»Auferstehung und Leben«). Jesus sagt mit diesen Bildworten: »Das bin ich, und niemand anderes! In mir findet ihr das, was ihr braucht, sucht und ersehnt, in abschließender und vollständiger Weise«! Jesus definiert sich hier also nicht über das, was er hat, sondern das, was er ist: »Ich bin …«. Er setzt sich damit von der »Welt« ab: Sie kann demgegenüber nicht das halten, was sie zu sein vorgibt: Ihr »Brot« macht nicht wirklich satt; sie schenkt kein ewiges »Leben«; ihr »Weinstock« spendet nur vorübergehendes, aber kein bleibendes Glück; ihr »Licht« verlöscht.
Jesus, die Tür … »Ich bin die Tür« (Joh 10,7.9) ist ein eher unbekanntes »Ich-bin-Wort« Jesu. Es mündet in die einladende Verheißung: »Wer durch mich hineingeht, wird gerettet werden; er wird ein- und ausgehen und Weide finden« (10,9). Es ist zudem Teil der großen Hirtenrede Jesu. Die »Tür« hat eine doppelte Funktion: Sie ermöglicht dem Hirten den Zugang zu den Schafen. Er kann sie morgens aus dem Gehege heraus und abends wieder hineinlassen. Die Schafe können umgekehrt durch die »Tür« ein- und ausgehen. Ohne sie wären sie entweder ohne Schutz vor wilden Tieren oder vom Futter, von Gras und Wasser, abgeschnitten. Wie eine solche »Tür« ist Christus: Durch ihn erhalten die Menschen Zugang zu dem, was für wahres Leben notwendig ist. Durch ihn finden sie Eingang in ein bergendes Zuhause. Christus öffnet den Menschen eine »Tür«, »damit sie das Leben haben und es in Fülle haben« (10,10). Neben dieser Ermutigung hat das Wort von der »Tür« noch eine andere Zielrichtung: Es droht »falschen Heilsbringern«. Wer nämlich an dieser »Tür«, an Christus, vorbei und mit einer anderen Botschaft meint, den Menschen »Heil« zu bringen, der verhält sich wie ein »Dieb« (10,1), der den Schafen Böses will.
… und wir, seine Herde Die »Tür«, genau genommen der doppelte Aspekt von Aus- und Eingang, kennzeichnet auch das Leben der Gemeinde Jesu Christi, die hier im Bild der »Herde« beschrieben wird: Sie geht am Morgen, ihrem Auftrag entsprechend, zu den Menschen hinaus, besonders zu den »anderen Schafen, die nicht aus diesem Stall sind« (10,16). Sie kommt am Abend wieder zurück und versammelt sich, um auf die »Stimme« (10,4) des guten Hirten zu hören. Diese Spannungseinheit von Sendung und Sammlung bestimmt im Übrigen auch den Aufbau des ganzen Evangeliums: Jesus wirkt zunächst öffentlich (Joh 1–12), dann vertiefend im Jüngerkreis (Joh 13–17).
Sendung … Das ist unsere Sendung als Christen: Wir leben nicht für uns selber. Wir sind vielmehr mit allen Menschen untrennbar und aufs Engste verbunden, auch mit denen, die nicht an Christus glauben, die »anderen Schafe, die nicht aus diesem Stall sind« (10,16). Wir haben einen Auftrag für diese Welt. Die Kirche ist kein Verein zur Selbstbespiegelung, sondern Gottes Ort der Sendung zu allen Menschen. Wir sind keine Gruppe, die sich vor der bösen Welt abschottet, die Tür von innen verriegelt und nur die eigenen »Schäfchen ins Trockene bringen« will. Wir sind vielmehr das »Salz der Erde« und das »Licht der Welt«, eben der Ort, wo wir Christen für andere leben. Diese Sendung macht uns aus. Sie zeigt sich in der Bereitschaft, nicht in den vertrauten Kreisen und bei uns selbst zu bleiben, sondern, wie es Papst Franziskus immer wieder sagt, nach draußen »an die Ränder zu gehen«, dorthin, wo die Menschen an ihre existentiellen Grenzen geraten. Papst Franziskus bringt diese Sendung in seinem Schreiben »Evangelii Gaudium« pointiert dadurch zum Ausdruck, dass er den Christen nicht vom Haben her versteht, sondern vom Sein. Der Christ soll seiner Meinung nach nicht nur sagen: »Ich habe eine Mission«, sondern »ich bin eine Mission«! Ich möchte das Gesagte anhand einer Passage aus »Evangelii Gaudium« kurz entfalten: »Die Mission im Herzen des Volkes ist nicht ein Teil meines Lebens oder ein Schmuck, den ich auch wegnehmen kann; sie ist kein Anhang oder ein zusätzlicher Belang des Lebens. Sie ist etwas, das ich nicht aus meinem Sein ausreißen kann, außer ich will mich zerstören. Ich bin eine Mission auf dieser Erde, und ihretwegen bin ich auf dieser Welt. Man muss erkennen, dass man selber gebrandmarkt ist für diese Mission, Licht zu bringen, zu segnen, zu beleben, aufzurichten, zu heilen, zu befreien. Da zeigt sich, wer aus ganzer Seele Krankenschwester, aus ganzer Seele Lehrer, aus ganzer Seele Politiker ist – diejenigen, die sich zutiefst dafür entschieden haben, bei den anderen und für die anderen da zu sein« (EG 273). Unser Papst macht hier ganz deutlich: Wir haben nicht nur eine Botschaft (zu verkünden), sondern wir sind eine Botschaft; und wo wir das nicht sind, sind wir nichts! Ob darum viele unsere Gemeinden für so langweilig, unsere Gottesdienste für so wenig anziehend und unsere Institutionen oft für so belanglos halten? Sie treffen zwar auf Räume mit Inhalten, aber nicht auf genügend Menschen, die sie ausstrahlen!
… und Sammlung Das Evangelium von heute sagt uns auch: Kraft und Inspiration für unsere Mission und Sendung finden wir vor allem, wenn wir uns zum Gottesdienst versammeln, um auf die Stimme des guten Hirten zu hören. Schafe haben ein feines Gespür für die Stimme ihres Hirten, sie können sie sicher von anderen unterscheiden. Johannes hat mit diesem Aspekt die Vertrautheit mit dem Evangelium, das er verfasst hat, gemeint. Gerade dieses »spirituelle« Evangelium aber eignet sich nicht für eine »Fast-food«-Lektüre. Lieblingsbeschäftigung der Schafe ist ja das langsame und stetige »Wiederkäuen«. Das ist für mich ein eindrückliches Bild dafür, wie ein lebendiger Umgang nicht nur mit dem Johannesevangelium, sondern mit dem Wort Gottes überhaupt aussehen kann. Deswegen mein Vorschlag an Sie für die nächste Woche: »Schlucken« Sie das Wort Gottes nicht achtlos herunter, sondern versuchen Sie, es immer wieder durchzukauen, zu erwägen, damit es seine ganze innewohnende Kraft in Ihnen entfaltet. Diese Kraft kann Sie dann befähigen, nicht nur eine Mission zu haben, sondern eine Mission zu sein!
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Peter Seul |
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