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Leseprobe 1 |
Kinder und Familien |
Vom Abschied |
Sechster Sonntag der Osterzeit (Joh 14,23–29) |
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Abschiednehmen ist ja immer so eine Sache. Wem fällt es schon leicht, die Wohnung, das Haus oder den Job zu verlassen, wo man sich doch so wohlgefühlt hat? Wer bricht schon gerne auf, lässt alles – auch die geliebten Menschen – hinter sich und fängt irgendwo neu an? Immerhin, diejenige, die neu anfängt, hat den Zauber des Anfangs vor sich. Davon schreibt Hermann Hesse ja in seinem Gedicht Stufen: Dass jedem Anfang ein Zauber innewohne, der es leicht mache weiterzugehen.
Derjenige hingegen, der zurückbleibt, der hat es doch viel schwerer, mit einem Abschied umzugehen. Denn die Person, die man gernhat, ist nicht mehr da und hinterlässt eine Lücke. Einen Zauber des Neuanfangs gibt es da eher nicht. Stattdessen muss man sich damit auseinandersetzen, dass jetzt vieles anders ist, nicht unbedingt besser.
Ähnlich mag es sich auch für die Freundinnen und Freunde Jesu angefühlt haben. Er war tot und kam wieder. Die unendlich große Lücke, die sein Tod gerissen hatte, war in neuer Weise wieder gefüllt. Und jetzt kündigt er doch wieder seinen Weggang an. Im Grunde genommen tut er das ja schon ab dem Augenblick der Auferstehung, wenn er zu Maria Magdalena sagt, dass sie ihn nicht festhalten solle. Aber das will man in so einer Situation ja vielleicht gar nicht so wahrnehmen. Wichtig ist, dass sein Fehlen nicht von Dauer war.
Und jetzt wieder: »Ich gehe fort …« Zwar mit der Zusage: »Ich komme wieder«, aber niemand weiß, wann das sein wird. Immerhin, Jesus traut seinen Freundinnen und Freunden zu, dass sie ohne ihn leben können und dass sie sogar seine Sendung weiterleben können. Und damit sie dabei nicht ganz auf sich allein gestellt sind, verspricht er ihnen den Heiligen Geist. Er sorgt dafür, dass die Erinnerung an ihn nicht verblasst, wie es ja nur normal ist im Laufe der Zeit. Dabei ist der Heilige Geist nicht nur so etwas wie ein Foto oder Videoclip von Jesus, sondern er befähigt die Jüngerinnen und Jünger auch dazu, in Jesu Sinn zu handeln. Mit und durch den Heiligen Geist bekommen sie die Kraft und den Mut, in die Welt zu gehen und allen davon zu erzählen, was sie mit Jesus erlebt haben. Das ist mehr als eine bloße Erinnerung, damit ist Jesus bei seinen Freundinnen und Freunden, auch wenn er nicht mehr da ist.
Und Jesus hinterlässt denen, die mit ihm unterwegs waren, noch etwas: einen Frieden, wie die Welt ihn nicht geben kann. Ich vermute, dass bei aller Unruhe im Außen dadurch eine innere Ruhe einziehen kann. Dass die Jüngerinnen und Jünger Jesu deshalb nicht die üblichen Phasen der Trauer durchmachen mussten, sondern dass sie seinen Weggang akzeptieren konnten. Auch, weil sie im Heiligen Geist verstanden hatten, dass es um die Liebe geht und dass Jesus nicht länger in der Welt sein kann.
Gleichzeitig weiß Jesus, dass der Abschied seinen Freundinnen und Freunden schwerfällt. Er wischt ihre Unsicherheit und Trauer nicht weg, sondern nimmt sie ernst und bereitet sie in seiner Rede auf den Abschied vor. Ändern kann er es trotzdem nicht, denn Abschiede gehören zu jedem Leben dazu. Stattdessen stärkt und unterstützt er die Menschen, die er zurücklässt und macht sich nicht einfach aus dem Staub. Und vielleicht ist dann für die Jüngerinnen und Jünger doch so etwas wie ein Zauber des Neuanfangs.
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Kerstin-Marie Berretz |
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