archivierte Ausgabe 4/2022 |
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Die Schriftleitung |
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Leseprobe 1 |
Dreifaltigkeitssonntag |
III. Lesepredigt: Auf der Suche nach dem unbekannten Gott (Röm 5,1–5) |
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Statio Zusammenfassungen können eine wichtige Hilfe sein – etwa um bei der Lektüre eines längeren Textes nicht aus dem Blick zu verlieren, worum es im Entscheidenden geht. Der heutige Dreifaltigkeitssonntag lässt sich auch als eine Art Zusammenfassung verstehen. Es geht darum, nicht aus dem Blick zu verlieren, worum es beim christlichen Glauben im Entscheidenden geht: Wir vertrauen darauf, dass der unbegreifliche und unverfügbare letzte Grund aller Wirklichkeit uns doch auf menschliche Weise als der gute Grund der Liebe zugänglich wird – auf menschliche Weise zugänglich im Wirken der Geisteskraft dieser Liebe in unseren so vielfältigen Lebensgeschichten und einzigartig aufschlussreich in der Jesusgeschichte. Das Geheimnis dieses ebenso verborgenen wie menschlich zugänglichen Gottes zu ehren und seinen Beistand zu erbitten, dazu sind wir hier gemeinsam versammelt.
Martin Rohner
Athen Wortgewandt, sprachgewaltig – so kennen wir Paulus von Tarsus. Auf einer seiner Missionsreisen verschlägt es ihn eher zufällig nach Athen (vgl. Apg 17,16–34). Dieser kurze Zwischenstopp in der Metropole von Religion und Philosophie wird für seinen Glaubensweg wichtig. Wir erleben Paulus zwischen den Tempelbauten als einen Suchenden. Er merkt, dass die vielen Götter der Akropolis nicht das sind, wonach er sucht. Was ihn neugierig macht, ist der Altar für »einen unbekannten Gott«. Hier ist zumindest eine Leerstelle benannt für das, was der große Rhetoriker noch nicht in Worte fassen kann. Drei Gedanken tauchen in seiner improvisierten Rede auf dem Areopag auf. Erstens: »Gott« ist nicht einer unter vielen. Er steht über allem. Er hat die Welt erschaffen, und ihm haben wir unser Leben zu verdanken. Das ist die unerschütterliche Einsicht seines jüdischen Glaubens. Zweitens ist Paulus davon überzeugt, dass es uns in die Wiege gelegt ist, nach diesem unbekannten Gott zu suchen – »ob wir ihn ertasten und finden könnten«. Und er ist überzeugt, dass das kein abwegiges Unternehmen ist, denn so geheimnisvoll Gott scheint: Er ist uns immer schon nahe, wir »leben und bewegen uns« bereits in ihm. Schließlich ist da die starke persönliche Erfahrung mit Jesus von Nazaret, die ihn seit der Begegnung vor Damaskus nicht mehr loslässt. Von ihm spricht Paulus auch bei den Griechen – und von der Auferstehung. Spätestens hier steigen die geneigten Zuhörer auf dem Areopag aus … Was Paulus bei seinem kurzen Aufenthalt in Athen verkündet – von Lukas in der Apostelgeschichte inszeniert – ist keine Theologie der göttlichen Dreifaltigkeit. Die findet sich bei Paulus überhaupt nicht. Was ihn antreibt, ist die Gottsuche – und die wachsende Gewissheit: Er ist kein anonym-abwesender Gott, sondern ein geheimnisvoll-naher Gott. Und in Jesus von Nazaret hat sich der »unbekannte Gott« gezeigt.
Rom Etliche Jahre und tausende Kilometer später schreibt Paulus einen Brief an die Gemeinde in Rom, aus dem wir eine Passage gehört haben. Paulus ist immer noch und mehr denn je davon überzeugt, dass er durch Jesus zu Gott gefunden hat. Paulus spricht vom »Frieden«, den der Glaube an Jesus Christus schenkt. Er spricht von der »Liebe Gottes«, die wir durch den Heiligen Geist in uns spüren. Und er spricht ungeschönt von »Bedrängnissen«, die auf dem Glaubensweg begegnen. Der innere Friede, die Liebe im Herzen, auch die Geduldsproben in schwierigen Situationen sind getragen von der Hoffnung, dass er den unbekannten Gott irgendwann in seiner Fülle ertasten und erleben werden wird. Paulus wandert dafür durch die halbe Welt und bleibt innerlich unterwegs zu einem Ziel, das er so formuliert: »Hoffnung auf Herrlichkeit«.
Korinth Die Schlussformeln seiner Briefe geben einen verdichteten Einblick in den Glauben dieses charismatischen Menschen. So schließt Paulus den zweiten Brief an die korinthische Gemeinde mit den Worten: »Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, die Liebe Gottes des Vaters und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch« (2 Kor 13,13). Was schon sehr nach den späteren dogmatischen Glaubensformeln klingt, ist hier noch ein postalischer Segen, ein Gebet, ein Wunsch, dass die jungen Christinnen und Christen, die dieses Schreiben erreicht, genauso wie er erfahren, dass der »unbekannte Gott« in Jesus von Nazaret zu unserem Vertrauten geworden ist. Wohl seit dem vierten Jahrhundert und bis zum heutigen Sonntag sprechen wir am Beginn des Gottesdienstes diese dreigliedrige Grußformel. Sie erinnert uns an die Suche des Paulus nach dem unbekannten Gott, angefangen in Athen. Sie bringt anfanghaft ins Wort, was wir heute feiern: den dreifaltigen Gott. Die Sprachversuche des Paulus legen Gott nicht fest, sondern schaffen Raum für unsere eigenen Glaubensbewegungen. Was Paulus der christlichen Nachwelt mitgeben will und was sie im Dreifaltigkeits-Glauben hütet, ist dies: Gott ist schon in uns, ist um uns. Und der Schlüssel zu ihm liegt in Jesus von Nazaret.
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Stefan Walser |
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