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Die Schriftleitung
Leseprobe 1
Vierundzwanzigster Sonntag – 13. September 2009
I. »… der verleugne sich selbst …« (Mk 8,27–35)

Zielsatz: Der Ruf, »sich selbst zu verleugnen«, ist oft missverstanden und auch missbraucht worden. In Wahrheit ist gemeint, allem lebensfeindlichen Streben abzusagen, mit dem man sich »kaputt« macht, und frei zu werden zu Wahrhaftigkeit und Solidarität und Liebe zum Leben.

Vorbemerkung: Die Predigt konzentriert sich auf die Verse 34 und 35. Zum Hinweis auf Erich Fromm vgl. ders., Haben oder Sein. Die seelischen Grundlagen einer neuen Gesellschaft (1976), in: ders.: Gesamtausgabe, Bd. 2, Stuttgart 1980, S. 269–414).


Ungute Erinnerungen an die Forderung nach Selbstverleugnung
»Wer mein Jünger sein will…«, heißt es heute im Evangelium. Es geht um Nachfolge Jesu. Und da kommt dieses merkwürdige Wort: » … der verleugne sich selbst« (Mk 8,34). Darf ich ein wenig bei diesem merkwürdigen, auch missverständlichen Wort verweilen. Was kann gemeint sein?
Vielleicht verbinden Sie – vor allem die Älteren von Ihnen ­ mit dem Wort wohl auch ungute Erinnerungen: Selbstverleugnung als Ideal. Das wurde leicht so verstanden, und auch immer wieder so gepredigt in die Richtung: sich selbst für wertlos halten, im Sinne von Selbstverachtung, dass man sich schlecht macht, und in der Folge davon auch, dass man sich so ganz passiv unterordnet unter den Willen anderer Leute, also – so sagte man – dass man »gehorsam« ist. Selbstverleugnung: Damit verbinden viele Leute: Lebensfeindlichkeit, Lustfeindlichkeit, die ständige Leidensmiene, weltverneinende, miesepetrige Askese. Eines ist sicher: Wir müssen solche Assoziationen beiseite lassen und ihnen den Abschied geben. Worum aber geht es dann wirklich mit diesem missverständlichen »der verleugne sich selbst«?

Absage an Ellenbogenmentalität
Es geht auf der einen Seite um eine Lebenseinstellung, der eine Absage erteilt wird, und – auf der anderen Seite – um eine Lebenseinstellung, die gefördert wird in der Nachfolge Christi.
Absage erteilt wird einer Lebenseinstellung, die von Ellenbogenmentalität geprägt ist. »Sich selbst verleugnen« heißt da, dass man der Versuchung und der Sucht widersteht, d. h. eine Absage erteilt, sich immer wieder in den Vordergrund zu spielen, dass man den anderen vormacht, wie überlegen man ist.
Absagen soll man einer Lebenshaltung, in der es dann plötzlich nicht mehr um Gerechtigkeit geht, sondern nur mehr um den eigenen Vorteil; in der es nicht mehr um Frieden für alle und mit allen geht, sondern um den eigenen Sieg über den anderen; in der es nicht mehr um Wahrheit und um Wahrhaftigkeit geht im Umgang miteinander, sondern um den eigenen Glanz, dass man »gut dasteht« vor den anderen. Absagen soll man der Versuchung und der Sucht, sich selbst mit anderen vergleichen: Man will besser, schöner, geliebter, reicher sein als die anderen und findet keine Ruhe, bis möglichst alle einen für reicher, besser, schöner, liebenswürdiger halten als die anderen. Wenn man mit solchen Lebenseinstellungen das »Leben gewinnen« will, dann – so die Aussage – »verliert man es«; denn so zu leben, strengt in einer Weise an, die uns »kaputt« macht, – schon allein deshalb, weil es uns dahin treibt, dass wir uns unsere eigenen Schwächen und Hinfälligkeiten nicht mehr eingestehen können, dass wir Angst vor allem haben, was – ehrlich gesagt – nicht so toll und bewundernswert an uns ist, und dass es uns plötzlich nicht mehr gelingt, uns so zu lieben, wie wir sind.
Und das »sich selbst verleugnen« meint genau dieses: dass ich aus diesen zerstörerischen Lebenseinstellungen, so gut es gelingt, aussteige – aus diesen destruktiven Spielen, die wir gerne miteinander spielen, aus den Zwängen, die wir uns damit auferlegen und denen wir uns unterwerfen, und mit denen wir uns verrückt machen und ruinieren.

Streben nach Wahrhaftigkeit und Solidarität
Angezielt und zu fördern ist eine andere Lebenseinstellung, in der es nicht um den eigenen Vorteil geht, sondern um Gerechtigkeit; in der es nicht um den eigenen Sieg geht, sondern um Frieden; in der es nicht darum geht, dass ich glänzend dastehe, sondern um Wahrhaftigkeit und Solidarität; in der wir uns bescheiden und uns so lieben und annehmen, wie ein jeder ist, mit den Schwächen und mit den Möglichkeiten, die in einem schlummern. Es geht um eine Lebenshaltung, in der man sich selbst wirklich ernst nimmt, und nicht bloß danach hechelt, ob andere einen ernst nehmen; dass man in sich ruht und steht.
Von dieser Lebenseinstellung, die da angezielt wird, wird gesagt: Wer so lebt, und dieses andere Getue verleugnet und negiert und wegschiebt, der kann »das Leben gewinnen«, auch wenn in den Augen anderer es so scheint, als ob man damit das Leben, das heißt den eigenen Vorteil, den eigenen Ruhm und Glanz, den eigenen Reichtum verspielen und verlieren würde.

Erich Fromms zwei Existenzweisen: Haben und Sein
Vielleicht ein Hinweis auf Erich Fromm: Er hat zwei Lebenseinstellungen gegenübergestellt: Das Haben-Müssen, d. h., dass man die ganze Wirklichkeit und alle Menschen bloß daraufhin anschaut und durchmustert: Was kriege ich davon? und: Was habe ich davon? Das ist nach Fromm eine Lebenseinstellung, die uns zerstört und die tödlich ist, wenn sie so völlig in sich, ohne jede Kritik gelebt wird.
Und das andere, die Existenzweise des Seins – auch »Seinsmodus« genannt – meint genau dieses: dass man lassen kann, dass man bei sich bleibt, dass man nicht »haben« muss, sondern »ist«, wie man ist ­ und so den Dingen begegnet, frei und ohne Angst, unterzugehen.

»… nehme sein Kreuz auf sich«
Auf diese Lebenseinstellung kommt es an. Und dann ist im Evangelium gesagt: Wenn einer so leben und damit Jesus nachfolgen will, dann »nehme er sein Kreuz auf sich« (Mk 8,34), denn dann werden einen andere verspotten, verlachen, für dumm halten, verfolgen. Es wird nicht ohne Leiden gehen, aber durch dieses Leiden hindurch wächst einem der Zugang zum Leben, so wie es wirklich beglückt.
Noch einmal: »Wer sich selbst verleugnet« – es hat nichts Lebensfeindliches an sich und hat nichts mit Feindlichkeit gegen sich selbst zu tun, sondern heißt, dass man sich nach Möglichkeit, so gut es geht, aus den Zwängen befreit, die uns knechten und kaputt machen – und zu sich selbst kommt, dann kann man leben, und »das Leben gewinnen«.

Karl-Ernst Apfelbacher

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