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Die Schriftleitung
Leseprobe 1
23. Sonntag im Jahreskreis
Statio
»Das ist doch ärgerlich!« Wie oft haben Sie das in der vergangenen Woche gedacht oder gesagt? Rüpelhaftes Verhalten, oberflächliches Daher-Gerede oder andere Situationen, in denen Menschen Unrecht geschieht. »Das ist doch ärgerlich!« Vielleicht haben Sie das auch in der Kirche gedacht – angesichts von inkonsequentem Handeln, unverständlicher Sprache oder institutionellen Beschränkungen. »Das ist doch ärgerlich.« Vielleicht werden Sie das auch denken, wenn Sie das heutige Evangelium hören: »Was soll das denn? Was denkt sich Jesus dabei?« Wenn wir uns ärgern, kann das mit unserer Sehnsucht nach Fairness, nach Verständnis, nach Gerechtigkeit, nach Würdigung des Menschen zu tun haben. Mit unserem Wunsch nach einem guten Leben für alle. Lassen wir in diesem Gottesdienst diesen Wunsch stärken – im Hören der Schrift und in der Feier der Eucharistie – und bringen wir bewusst das mit, was uns arg ist und uns ärgert. An anderen. An Gott. Und an uns selber.
Siegfried Kleymann

I. Inständige Bitte um die Grenzöffnung des Herzens (Phlm 9b–10.12–17)

Die Grenzen dicht machen

Der »Zaun« ist ein schrecklich aktuelles Wort geworden. Zäune werden gebaut, wenn das Eigene gesichert und beschützt werden soll, wenn vermieden werden soll, dass jemand von außen ins eigene Revier eindringt. Fremdes und Fremde werden in der Regel als eine Bedrohung angesehen, vor der man sich schützen will. Oft ist es gar nicht einmal böse Hartherzigkeit, die einen so handeln lässt, sondern es ist die diffuse Angst vor dem, was man nicht kennt.

Zäune können nicht nur an Landesgrenzen errichtet werden, sondern auch im eigenen Kopf und im eigenen Herzen. Auch hier kann man »dicht« machen, keinen neuen Gedanken, keine neue Sichtweise auf die Dinge, keine neue Bewertung von Menschen und Situationen. Eine der dauerhaftesten Grenzschließungen in Herz und Hirn ist das Argument: »Das haben wir immer so gemacht. Das war doch immer so!« Im Rheinland sagt man zu dieser beliebten Abschottungsform: »Kenne mer nit, bruche mer nit, fott domet! (Hochdeutsch: Kennen wir nicht, brauchen wir nicht, fort damit).« Das bedeutet: Ich will mir meine mir liebgewordene Sicht auf die Ordnung der Dinge nicht durcheinanderbringen lassen.

Der Frankfurter Pfarrer und Dichter Lothar Zenetti hat die Angst vor dem Neuen einmal so formuliert:
Frag hundert Katholiken: Was ist das Wichtigste an der Kirche?
Und sie werden antworten: die Messe.
Frag hundert Katholiken: Was ist das Wichtigste an der Messe?
Und sie werden antworten: die Wandlung.
Sag hundert Katholiken: Das Wichtigste an der Kirche ist die Wandlung.
Und sie werden empört sein: Nein, es soll alles so bleiben wie es ist!


Paulus will die Herzensgrenze überwinden


Der kürzeste, aber äußerst kostbare Brief des Apostels Paulus an den Sklavenbesitzer Philemon ist ein einziges Plädoyer für die Öffnung der Herzensgrenze. Dem reichen Philemon war der Sklave Onesimus weggelaufen. Auf seiner Flucht kam er in Kontakt zu Paulus, der ihn sehr lieb gewann. Am liebsten hätte er den Sklaven als Mitarbeiter behalten, aber Paulus wollte das römisches Recht und die gesellschaftliche Ordnung respektieren. Danach muss ein Sklave zu seinem »Besitzer« zurückkehren, der ihn dann bestrafen kann, wie er es für richtig hält. Paulus schickte den entlaufenen Sklaven aber nicht einfach zurück, sondern gab ihm einen Begleitbrief an seinen Herrn Philemon mit. Der Begleitbrief war es, der dem Sklavenbesitzer die Grenzziehung seines Herzens öffnen sollte.

Paulus hätte Philemon gegenüber auf die Autorität seines Apostelseins pochen können, aber er verzichtete auf seinen »Amtsbonus« und wurde Philemon gegenüber zum Bittsteller. Grenzöffnungen kann man offenbar nicht einfach »von oben befehlen«, sondern es muss um Einsicht geworben werden. Inständig bat Paulus den Sklavenbesitzer, den entlaufenen straffällig gewordenen Flüchtling wie einen lieben Bruder wieder in seinem Haus aufzunehmen. Er erinnerte Philemon an den christlichen Grundsatz: Auch der rechtmäßig erworbene (eingekaufte) Sklave ist Ebenbild Gottes und deshalb wie ein Bruder zu behandeln.

(In Klammern gesagt: Paulus attackiert nicht die römische Praxis der Sklavenhaltung, aber die Sklavenbesitzer sollen mit einer neuen, d. h. auf Christus gegründeten, Einstellung ihre Sklaven behandeln.)

Die Seelsorgemethode des Paulus

Wie sehr Paulus ein einfühlsamer sensibler Seelsorger war, zeigt sich auch darin, wie er Philemon für eine neue Sicht auf den Sklaven Onesimus zu gewinnen suchte. »Wenn er dich aber geschädigt hat oder dir etwas schuldet, so setz das auf meine Rechnung!« (V. 18)

In dem literarischen pastoralen Glanzstück des Philemonbriefs können wir entdecken, worauf es ankommt, wenn Grenzschließungen des Herzens geöffnet werden sollen. Paulus verzichtet auf die Ausübung seines Amtes, die in Befehl und Gehorsam besteht; er behält auf der anderen Seite einen guten und fähigen Mitarbeiter nicht für sich, sondern schickt ihn dorthin zurück, wo der Sklave hingehört. Jedoch liefert er den entlaufenen Sklaven nicht einfach der römischen Bestrafungspraxis aus, sondern inständig bittend wirbt er bei Philemon um die Öffnung seines Herzens. Er erinnert den Sklavenbesitzer daran, dass auch der Sklave ein »Bruder im Herrn« ist, weil beide, Herr und Sklave, zu Christus gehören.

Neue (Ein-)Sicht am Zaun?

Das pastorale Kunststück des Paulus im Fall des Sklaven Onesimus wünsche ich mir überall dort, wo Zäune errichtet werden, wo gesichert, abgeschottet und in jeder Form dicht gemacht wird. Mag sein, dass an Grenzen Recht und Ordnung nicht im gewünschten Maß eingehalten werden, mag sein, dass man nicht mehr weiß, wie es weitergehen soll, mag sein, dass man das Eindringen von Kriminellen fürchtet, und mag dieses und jenes noch der Fall sein, auf der anderen Seite des Zauns stehen Menschen. Und weil es Menschen sind, sind es – wie wir auf den ersten Seiten der Bibel erfahren – Ebenbilder Gottes. Was tun Ebenbilder Gottes, die sich diesseits und jenseits eines Zaunes gegenüber stehen?

Bräuchten diejenigen, die die Zäune ziehen, um ihre eigene Sicherheit zu schützen, nicht ganz dringend so einen Brief, wie Paulus ihn an Philemon geschrieben hat? Auch die Menschen jenseits unserer Zäune sind geliebte Schwestern und Brüder.

Hubert Brosseder

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