archivierte Ausgabe 5/2017 |
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Die Schriftleitung |
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Leseprobe 1 |
19. Sonntag im Jahreskreis |
I. Christus läuft über den Abgrund des Todes (Mt 14,22–33) |
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Statio Es gibt sie, diese »Ruhe mitten im Sturm«. Vielleicht kennen Sie solche Augenblicke: Um uns herum ist alles chaotisch, unruhig und fragwürdig – und dennoch gibt es diesen Moment der inneren Gelassenheit und des Gottvertrauens. Er entzieht sich unserer Machbarkeit, doch wir können ihn ersehnen und uns ihm anvertrauen, wenn er uns geschenkt wird. Richten wir uns im Kyrie-Lied auf ihn aus, der für uns »Ruhe im Sturm« sein will. Siegfried Kleymann
I. Christus läuft über den Abgrund des Todes (Mt 14,22–33)
Konnte er – oder konnte er nicht: übers Wasser laufen? Was wir heute im Evangelium von Jesus gehört haben, gehört zu den ›Standardwundern‹ über die es viel zu streiten und debattieren gibt.
Da haben es etwa irgendwelche chinesischen Mönche nach jahrelanger strengster Askese und Meditation fertiggebracht, beinah ohne Hilfsmittel fast 100 Meter übers Wasser zu laufen. Auch die Natur kennt solch unglaubliche Phänomene: bestimmte Echsen, Basilisken genannt, aus der Familie der Leguane, können in Gefahr die Schwerkraft bezwingen und übers Wasser laufen. Der Volksmund nennt sie deshalb auch »Jesus-Christus-Echse«. All das regt die einen zum Staunen an, andere zum Schmunzeln, uns alle aber sicherlich nicht zum besseren Verständnis unseres Evangeliums. Denn es geht im Evangelium nicht wirklich um die Frage, ob Jesus übers Wasser laufen konnte, oder nicht.
Zumindest geht es darum nicht im naturwissenschaftlich-empirischen Sinne. Das Evangelium will uns nicht eine Art »You-Tube-Clip« servieren, wie wir es uns vom chinesischen Mönch oder der südamerikanischen Echse im Internet herunterladen und anschauen können.
Biblische Botschaften brauchen Bilder
Die Botschaft des Evangeliums ist nämlich noch viel aufregender und spektakulärer, als der Bericht von einem Menschen, der übers Wasser laufen kann. Die eigentlich Nachricht lautet: Christus bezwingt alle Abgründe und Gefahren, die uns bedrohen. Jesus bezwingt den Tod.
Das Evangelium trägt die Osterbotschaft in sich! Lassen Sie uns einmal versuchen, das Evangelium mit ›Osteraugen‹, wie es der ehemalige Aachener Bischof Klaus Hemmerle nannte, anzuschauen:
Die Fahrt auf dem unheimlichen, gefahrenvollen See. Das ist vor allem ein Bild für unser Leben. Für die Jünger Jesu ist es zudem eine alltägliche Erfahrung. Als Fischer sind sie es gewohnt, gerade bei Nacht auf dem See zu sein. Es ist ihre normale Arbeitszeit, denn der Fischfang ist nachts besonders ergiebig, wenn die Fische aus den Tiefen des Sees zum Licht der Boote aufsteigen. Sie kennen die Gefahren und die Tücken des Sees. Die plötzlichen Winde, das Spiel der Wellen, die Strömungen und Untiefen des Gewässers. Ihre Alltagswelt, die auch als ein Bild und eine Metapher für das Leben insgesamt zu sehen ist.
Wer kennt das nicht, das uns plötzlich so manche ›Welle‹ treffen kann, dass wir von jetzt auf gleich den Halt verlieren, dass wir ordentlich ›Gegenwind‹ spüren? Unser Leben ist immer auch zerbrechlich und Gefahren ausgesetzt. Unser Leben als eine ›Fahrt auf dem Wasser‹, als eine Reise durch viele Untiefen und Abgründe. In den Kulturen der damaligen Zeit ist das ein verbreitetes Bild. Auch die letzte Reise eines Menschen in die kommende Welt, so war man damals überzeugt, würde man in einem Boot antreten. Vom Reich der Lebenden würde man so in das Reich der Toten gelangen – das am anderen Ufer wartet.
All das klingt gewiss auch in unserem Evangelium an. Und es war für die damaligen Zuhörer ziemlich vertraut.
Gewohnte Bilder werden ausgeweitet
Doch dann kommt die eigentliche Sensation: »In der vierten Nachtwache«, so heißt es »kam Jesus zu ihnen; er ging auf dem See« (Mt 14,25). Die vierte Nachtwache, das ist die Zeit der Morgendämmerung. Da kommt Jesus seinen Jüngern entgegen. Das Licht kehrt gerade zurück. Immer ist das ein besonderer Moment, eine ganz eigenartige Stunde. Für die Jünger Jesu, die die Welt mit ›Osteraugen‹ sehen, ist das vor allem die Stunde der Auferstehung. Am Morgen des dritten Tages tritt der Auferstandene aus dem Grab empor, durchschreitet er das Dunkel des Todes.
Als die Jünger Jesus sehen, erschrecken sie und schreien vor Angst. Komisch! Nicht bei all dem Sturm und den Wellen der Nacht haben sie sich gefürchtet. Sondern jetzt, als sie Jesus sehen. Die Angst setzt ein, als sie ihn in der Morgendämmerung erblicken. Sie halten ihn für ein Gespenst – so, wie sie es später auch tun werden, wenn sie dem Auferstandenen begegnen. Immer wieder befällt sie zunächst Angst und Furcht und ungläubiges Erschrecken.
Diese Angst löst sich, sobald Jesus mit ihnen spricht: »Habt Vertrauen, ich bin es; fürchtet euch nicht!« (Mt 14,27). Noch oft werden sich solche Begegnungen wiederholen und es ist ein durch und durch österliches Geschehen. Die Jünger werden sich fürchten, wenn sie den Auferstandenen sehen. Sie werden ihn erst erkennen können, wenn er sie anspricht.
Übrigens auch das, was dann folgt und sich im Petrus ereignet, ist ganz und gar österlich. »Herr, wenn du es bist, dann befiehl, dass ich auf dem Wasser zu dir komme« (Mt 14,28).
Daraus sprechen die Freude und der ganze Wagemut des Osterglaubens. Der Tod ist durch Jesus besiegt und hat keine Macht mehr! Jetzt kann sogar ich über den Abgrund des Todes laufen, jetzt traue sogar ich mich auf die finsteren Untiefen des Sees …
Glaube ist Halt und Verlust
Der Wagemut des Glaubens und gleichzeitig die Grenze des eigenen Vertrauens. Eine Erfahrung, die Petrus – und wohl uns allen auf dem Weg unseres Glaubens nicht erspart bleibt.
Was hilft dagegen? Ein einziger Schrei um Hilfe. »Herr, rette mich« (Mt 14,30) – und sogleich ist es Jesus, der seine Hand ausstreckt und Petrus aus Angst und Untergang befreit.
Und was dann im Evangelium weiter geschieht, verdichtet sich vor unseren österlichen Augen zu einem Happyend. Der Wind legt sich, als Jesus zu ihnen ins Boot des Lebens steigt. Wir können förmlich das milde und linde Osterlüftchen spüren.
Und dann werfen sich die Jünger vor ihm zu Boden. Das ist die reinste Geste der Anbetung Gottes. So begegnen die Sterblichen dem unsterblichen Gott. Und das sich anschließende Bekenntnis der Jünger: »Wahrhaftig, du bist Gottes Sohn« gleicht nicht von ungefähr wortwörtlich dem Bekenntnis, das der Hauptmann unter dem Kreuz Jesu aussprechen wird (vgl. Mt 27,54).
Hier, im Evangelium vom Gang auf Jesu auf dem Wasser wird Ostern schon vorweg genommen. Und das ist doch wohl noch viel sensationeller und unfassbarer, als ein chinesischer Mönch oder eine kleine Echse, die es schaffen, übers Wasser zu laufen.
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Christian Böckmann |
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