archivierte Ausgabe 6/2010 |
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Die Schriftleitung |
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Leseprobe 1 |
Allerseelen – 02. November 2010 |
II. »Das Leben geht weiter ...« (1 Thess 4,13–18) |
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Zielsatz: Über die Doppeldeutigkeit der Redewendung »Das Leben geht weiter« soll die Aufmerksamkeit der Hörenden gewonnen und sie ins Nachdenken darüber gebracht werden, dass mit dem Tod ein neuer Lebensabschnitt beginnt.
»Das Leben geht weiter …« »Das Leben geht weiter ...« Wer hat diesen Satz im Zusammenhang mit einem Todesfall nicht schon einmal gehört. Und je nach Situation, Betroffenheitsgrad und Gemütslage wird dieser knappe Satz, sei es zwischen Tür und Angel, so im Vorbeigehen, an der Biertheke, in der Warteschlange vor der Supermarktkasse, nach dem Seelenamt, unterschiedlich aufgenommen: zustimmend oder ratlos, teilnahmlos oder verärgert, gestärkt oder gleichgültig.
Hilfloser Trostversuch? »Das Leben geht weiter.« Ich gestehe, dass ich bis vor Kurzem diesen Satz eher als gedankenlosen, fast hilflosen Trostversuch wahrgenommen habe, um Trauernde abzulenken von einem schmerzlichen Verlust. Eine phrasenhaft anmutende Formulierung, kaum mehr als eine Worthülse, verbraucht, abgedroschen, hohl, leer, oberflächlich, überflüssig. Denn so einfach geht das Leben eben nicht weiter, wenn ein lieber Mensch von uns gegangen ist. Dann ist nichts mehr wie früher. Das weiß doch jeder. Da öffnet sich eine Kluft, ein Spalt, ein Krater, ein riesiges Loch. Die Zeit steht still, die Uhr ist angehalten. Starre. Nichts geht mehr, das Leben hat keinen Sinn mehr. Wie soll ich weiterleben ohne den geliebten Menschen, der mir doch alles bedeutet hat? Wie soll ich überleben, wo mir doch das Liebste, was ich habe, genommen wurde? Es ist doch alles so sinnlos. Und dann kommt jemand und sagt dann tatsächlich: »Das Leben geht weiter ...« Wie will er das wissen? Wie kann man so etwas sagen? Nicht selten folgt dann auch noch der Satz: »Kopf hoch ...« oder »Es wird schon wieder ...« Wie eine Mut machende Aufforderung. Was tun wir uns doch schwer, wenn wir Mitmenschen trösten wollen. Und glauben sie nicht, dass es mir anders geht.
Das Leben geht weiter im Himmel »Das Leben geht weiter ...« Diesen Satz nehme ich inzwischen anders wahr, ja völlig anders, seitdem mir eine Witwe jüngst sagte, dass das Leben wirklich weitergehe. Und damit meinte sie nicht ihr eigenes, von der Trauer geprägtes Leben, sondern das Leben ihres geliebten Mannes, der unter großen Qualen sterben musste. Sie war 43 Jahre mit ihm verheiratet. Diese einfache Frau hat mir die Augen geöffnet für einen anderen Sinn des so schlichten Satzes: »Das Leben geht weiter ...« Dieser andere Sinn wird erkennbar, wenn wir dabei, und zwar Wort für Wort, Silbe für Silbe, nicht vordergründig den Trauernden und sein Leben im Blick haben, sondern den konkreten Verstorbenen in seiner neuen Art weiterzuleben. »Das Leben geht weiter ...« Das irdische Leben des Verstorbenen ist zwar zu Ende, aber unser Glaube sagt, dass er weiterlebt. Wir glauben, dass Jesus uns nicht nur hier auf Erden begleitet, sondern uns auch einen Platz im Himmel bereitet, in einer der vielen Wohnungen seines Vaters. Ja, im Reich der Himmel, im Reich unseres himmlischen Vaters geht unser Leben weiter. Dort findet es seine Vollendung. Und was für ein Leben. Ohne Trauer und Tränen, ohne Sorgen und Ärger, ohne Streit, ohne Mobbing, ohne körperliche oder seelische Schmerzen. Was für ein Leben. Wahrlich das von Jesus verheißene Leben in Fülle.
Gott führt die Verstorbenen zur Herrlichkeit Ja, »das Leben geht weiter ...« Wenn wir heute, am Allerseelentag, unserer Toten gedenken, dann sollten wir uns diese ganz andere Deutung des eigentlich so schlichten Satzes vielleicht einmal vor Augen führen. Denn dann sehen wir nicht zunächst unser Leid, unseren Schmerz, unsere nicht enden wollende Trauer, sondern vor allem unsere Verstorbenen, ihr Leben, ihr ewiges Leben, so wie es von uns noch niemand geschaut hat. Und je tiefer wir eindringen in diese Sichtweise, umso mehr spüren wir, dass der Allerseelentag mehr ist als ein Tag, an dem wir nur unserer Toten gedenken. Dieser Tag bekommt Festtagscharakter. Wir erinnern uns an den Tag, an dem das in der Taufe begonnene ewige Leben unserer Verstorbenen mit dem Tod in eine neue Phase getreten ist, und zwar in der Begegnung mit dem Auferstandenen, mit Jesus Christus. Er, der Auferstandene, hat sie eingeladen ihm zu folgen, vor das Angesicht Gottes. Im ältesten Schriftzeugnis der Christenheit, im Brief des Apostels Paulus an die Thessalonicher, scheint diese Begegnung durch, und zwar in der gläubigen Erkenntnis, dass Gott durch Jesus auch die Verstorbenen zusammen mit ihm zur Herrlichkeit führen wird. Diese tröstenden Worte gelten auch uns, damit auch wir nicht »trauern wie die anderen, die keine Hoffnung haben«, so der Apostel.
Mit den Verstorbenen ihre Auferstehung feiern Wenn wir diese trostreichen Worte mit Farben verbinden würden, ich denke, dass frohe, ja heitere Farben dominieren würden. So gar nicht passend zur jetzigen Jahreszeit, zum grauen, verregneten, nicht selten trostlosen November, der ja auch den wenig frohmachenden Ruf als Trauermonat hat. Daher sollten wir als Kirche eigentlich konsequent sein und den Allerseelentag, wie auch das Fest Allerheiligen, das wir gestern gefeiert haben, liturgisch wieder dort platzieren, wo er von seiner Natur her hingehört: In die österliche Zeit. In die Jubelzeit der Auferstehung. Hier hatte Allerseelen übrigens in früheren Zeiten bereits seinen Platz. Denn Allerseelen sollte nicht vornehmlich ein Gedenktag unserer Trauer sein, sondern ein Tag, an dem wir mit unseren Verstorbenen ihre Auferstehung von den Toten, ihren neuen Lebensabschnitt, ihr Weiterleben feiern dürfen, und zwar in der Anschauung Gottes. Ein Festtag auch unserer Hoffnung, unserer eigenen Sehnsucht. Ein Tag, an dem wir voll Dankbarkeit Halleluja singen sollten, zum Lobpreis des Auferstandenen, der für uns alles ist: Der Weg, die Wahrheit und das Leben.
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Gisbert Wellerdiek |
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