archivierte Ausgabe 6/2014 |
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Die Schriftleitung |
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Leseprobe 1 |
Weihetag der Lateranbasilika |
I. Orte Gottes und der Menschen (1 Kor 3,9c–11.16–17; Joh 2,13–22) |
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Zielsatz: Heilige Räume entstehen überall dort, wo Menschen die Gegenwart Gottes in ihrem Leben feiern – mitunter auf einfachste Weise, an einfachsten Orten. Ich möchte deutlich machen, dass unsere Kirchen weithin sichtbares Zeichen unserer Sehnsucht nach gemeinschaftlichen Gottesorten sind, an denen wir unseren Glauben miteinander feiern können.
Lebendige Steine
Könnten die alten Steine der Lateranbasilika in Rom sprechen, dann hätten sie uns viele Geschichten zu erzählen. Schon vor knapp 1700 Jahren wurde die Papstbasilika geweiht, als erste nach dem Toleranzedikt Kaiser Konstantins, das (auch) dem Christentum zu Beginn des vierten Jahrhunderts unserer Zeit die Freiheit der öffentlichen Religionsausübung schenkte. Die Inschrift am Eingang benennt bis heute die besondere Bedeutung dieser Kirche: »Mutter und Haupt aller Kirchen in der Stadt und dem Erdkreis«.
Zunächst nur in der Stadt Rom begangen, feiert die Kirche nun schon seit Mitte des 16. Jahrhunderts weltweit den Weihetag der Lateranbasilika als Hochfest. Es ruft uns in Erinnerung, wovon schon Petrus und Paulus in ihren Briefen an die frühen christlichen Gemeinden schrieben: der Tempel aus Stein verstanden (auch) als geistlicher Bau, als Symbol einer lebendigen Kirche, die Gott aus jenen lebendigen Steinen errichtet, die die Menschen sind, die an den Gott der Bibel glauben. »Schwestern und Brüder, ihr seid Gottes Bau«, so haben wir es gerade im ersten Korintherbrief gehört – und weiter: »Gottes Tempel ist heilig. Und der seid ihr!«
Gottes Tempel
»Gottes Tempel ist heilig. Und der seid Ihr.« – Es gehört zum Sinn und zum Geheimnis des heutigen Hochfestes, zugleich an die Wichtigkeit sakraler Gebäude aus Stein und an die Möglichkeiten der Menschen zu erinnern, Gottes Tempel überall dort zu »errichten«, wo sie ihrem Glauben an Gott Ausdruck zu verleihen suchen. Ein besonders eindrückliches Beispiel dafür sind etwa die Erfahrungen der jüdischen Häftlinge, die in den nationalsozialistischen Konzentrationslagern inhaftiert waren. Es ist gut, sich gerade heute, dem Jahrestag der so genannten »Reichskristallnacht«, daran zu erinnern. Werner Weinberg, Überlebender von Bergen-Belsen, beschreibt das Drama, in dem sich unzählige Häftlinge befanden, zunächst so:
»In dem Augenblick, in dem orthodoxe Juden ihren Fuß ins Lager setzten, mussten sie die meisten religiösen Gesetze und Gebote aufgeben. Sie wurden gezwungen, am Sabbat zu arbeiten, sie konnten die Speisegesetze nicht einhalten, waren nicht in der Lage, die Gebete zur vorgeschriebenen Zeit zu verrichten, und es war ihnen unmöglich, die meisten Mizwot [religiösen Pf lichten], deren Ausübung ihnen wichtig wie das Leben selbst war, zu erfüllen.« Ausgeliefert in einen von der SS brutal beherrschten Tagesablauf und voller Furcht, während religiöser Handlungen entdeckt und verraten zu werden, erschien jede wahrnehmbare Form von Religiosität einmalig, da völlig ungewiss war, ob und wann sie sich würde wiederholen lassen. Wenn auch die Unterschiede im Erleben außerordentlich groß waren, so entwickelte sich die Einhaltung religiöser Zeiten doch zu einem der wichtigsten Mittel, einer grausamen wie sinnlosen Gegenwart zu entkommen. Den Augenzeugenberichten nach trug schon die Erwartung und Vorbereitung der jüdischen Fest- und Feiertage dazu bei, die Totalität des Gefangenendaseins aufzubrechen und der schleichenden Entwürdigung entgegenzuwirken. Denn dass an einem bestimm Tag Jom Kippur war oder dass die jüdischen Häftlinge um Pessach wussten, konnte auch die SS nicht unterbinden – genauso wenig wie die Ausübung des Sabbat, in welcher »verkümmerten« Form auch immer.
Docht aus Lumpen
Elie Wiesel und andere Überlebende der Shoa berichten davon, wie sie aus ausgehölten und mit Margarine gefüllten Kartoffeln Sabbatkerzen gefertigt – und angezündet haben. Dieses Licht an einem Docht aus Lumpen war durch keine (noch so gute) Tat zu ersetzen. Das ist ergreifend und unbegreif lich zugleich: Wie da an die Grenze des Todes gezwungene Menschen Raum und Zeit herauspressen aus dem Fünkchen Leben, das ihnen geblieben ist, für die Liturgie, für einen Hauch konkret begangener Heiligkeit im Grauen. Unfassbar. Wunderbar. Die biblische Lebensweisheit, dass der Mensch »nicht nur von Brot lebt« (vgl. Dtn 8,3; Mt 4,4; Lk 4,4), verliert hier jeden frömmelnden Unterton. Und es bewegt dazu, Jesu spektakulären Auftritt im Tempel von Jerusalem, von dem uns das heutige Evangelium erzählt hat, in existentieller Tiefe zu begreifen.
Heiligkeit
Vier Höfe umgaben im Tempel das Allerheiligste. Ganz außen, durch Verbotsschilder, Steinschranken und Treppenstufen getrennt von den Vorhöfen der jüdischen Frauen, der jüdischen Männer und der Priester, lag der so genannte Vorhof der Heiden, der für jedermann zugänglich ist. Hier, auf der untersten Stufe der Heiligkeit, hatten auch Händler und Geldwechsler ihre Tische aufgestellt. Kurz vor Pessach blühte das Geschäft, das auch die Taschen von Tempelverwaltung und Priesterschaft reichlich füllte. Die Reaktion Jesu auf dieses Szenario ist ungewohnt heftig: Mit einer Geißel aus Stricken treibt er alles und jeden hinaus, der dazu beiträgt, diesem Hof seine Heiligkeit zu nehmen. Was ereignet sich da?
Der, der auf die innere Sehnsucht eines jeden Menschen schaut und dem an Opferkult und heiligen Orten aus Stein nicht viel liegt, gibt den Randgestalten seiner Zeit ihr Bethaus zurück. Es scheint für Jesus absolut unerträglich zu sein, dass das Gebet der Heiden, der (kultisch) Unreinen, der Verachteten und als religiös minderwertig Betrachteten übertönt und unterbrochen wird vom Geschrei der Händler, dem Geblöke der Tiere und der Geschäftemacherei der Geldwechsler. So einzigartig dieses Geschehen auch ist, Jesus tut das, was er immer tut: Er öffnet denen, die nichts gelten, den Zugang zu Gott. Handgreif lich.
Gottes Räume
Menschen brauchen Räume, in denen sie Würde erfahren und in denen der Glaube daran wachsen kann, dass das, was »draußen« ist, nicht alles ist; Räume, die geschaffen sind, nur um Gott zu gehören, und die die Fülle eines Lebens repräsentieren, das man sonst nirgends finden kann. Manchmal entstehen diese Räume überall dort, wo Menschen ihre Seele zu Gott erheben. Manchmal sind diese Räume aus Stein gebaut: Tempel, Synagogen, Moscheen oder unsere Kirchen. Wenn wir heute Kirchweihe feiern, dann feiern wir die Orte in unserem Leben, die ganz Gott gehören sollen – und uns Menschen in unserer Sehnsucht nach Gott. Das ist so lebensnotwendig wie Kartoffeln und Margarine, in Situationen der äußersten Bedrängnis genauso wie in Zeiten des Überflusses.
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Vera Krause |
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