archivierte Ausgabe 6/2017 |
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Die Schriftleitung |
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Leseprobe 1 |
32. Sonntag im Jahreskreis |
I. Lasst euch nicht vom Tod erschrecken (1 Thess 4,13–18) |
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Statio Vor einer guten Woche haben wir die Gräber gesegnet und an die Toten gedacht, mit denen wir in Liebe verbunden sind. Auch die Texte des heutigen Tages wollen uns weiter helfen, einen guten Umgang mit dem Tod zu kultivieren. Sie regen unsere Fantasie an und beschreiben bilderreich, wie es sein könnte, wenn das Leben zu Ende geht. Die Botschaft ist: Das Leben ist zu kostbar, als dass es einfach sich ins Nichts auflösen würde. Und als Garant dafür gilt Christus. Die Bilder von seinem Wiederkommen zeigen ihn als wirkmächtig über das Leben und über den Tod hinaus. Er, der da ist in den Herzen und in der Liturgie, ist so präsent, so gegenwärtig, so in Beziehung zu uns, dass auch unsere Beziehungen zu anderen Menschen über den Tod hinaus gut in Gott aufgehoben sind. Thomas Luksch
Das Leben, zerbrechlich wie Porzellan
Sie steht im Flur auf der Intensivstation eines Krankenhauses und schaut zum Fenster hinaus. Alles ist unwirklich. Gedanken rasen, das Herz versucht mitzukommen. Und die Zeit geht so zäh dahin, als ob die Zeiger an der Uhr festkleben. Hinter der schweren Tür liegt ihre Mutter an der Lungenmaschine. Gehirnblutung, Notoperation. Ausgang ungewiss. Alles in ihr stemmt sich dagegen! Alles in ihr hofft und bettelt: Hauptsache Mutter überlebt. Irgendwann darf sie durch die schwere Tür in den Aufwachraum ans Krankenbett. Schläuche, Maschinenlärm, ein in Verbandszeug verhüllter Kopf. Ihre Hand berührt den warmen Körper der Mutter und fühlt den ersten Trost. Schon an diesem ersten Tag wird ihr durch den Kopf schießen: Ich habe nichts versäumt, alles, was gesagt werden sollte zwischen uns, ist gesagt worden. Aber stimmt das? Oder will ihr Herz Beschwichtigung, weil es jetzt nicht noch mehr Angst und Verzweiflung erträgt? Die Trauer kommt in Wellen. Wir haben nie einen Urlaub zu zweit gehabt. Und wer kann schon sagen, er sei keine Liebe schuldig geblieben? Und als nach einer Woche klar ist, die Mutter hat überlebt, wird aber nicht sprechen und nicht laufen können, da kommt die Wut. Eine bis dahin nicht gekannte Wut …
Warum müssen wir sterben? Warum ist dieses Leben so eingerichtet? Ich bin nicht einverstanden. Ich bin nicht einverstanden …
Wenn der Tod persönlich wird, wenn er ankommt im eigenen Leben, in der Familie, im eigenen Haus, fühlt man sich wie eine blutige Anfängerin in Sachen Krankheit, Sterben, Tod. Was ist dieses Leben? Zerbrechlich wie eine Porzellantasse, durchsichtig wie ein feines Spinnennetz. Wie viel Achtsamkeit bräuchte man, um diesem Leben gerecht zu werden? Wie sollen wir es leben? Man kommt sich vor wie ein zu grober Klotz. Und weiß doch nicht, was man anders machen sollte, als das Leben so leben, wie man es eben kann.
Wessen soll ich mich trösten??
Berthold hat Krebs, Medikamente können nur noch den Schmerz lindern. Zu heilen ist nichts mehr. Doch da gibt es einen Schmerz, gegen den auch Morphium nichts ausrichten kann: »Was bleibt eigentlich von mir, von meinem Leben und von dem, was mir wichtig war? Von den Idealen, für die wir gekämpft haben, ist doch eigentlich auch nichts geblieben. Wofür habe ich eigentlich gelebt?« ist seine brennende Frage. Dem Krankenhausseelsorger hat er zuerst erklärt, er habe mit Kirche nichts am Hut und erst als dieser sagt, er habe auch nicht vor, daran was zu ändern, er wolle zuhören, kommen sie zum Wesentlichen. Zum Schmerz, den der Tod verursacht. Ein spiritueller Schmerz, den jeder Mensch kennt, ob religiös oder nicht. Trennungsschmerz, innere Leere, Sinnverlust, Zweifel an dem, was vorher getragen hat, verlassen sein, ausgestoßen werden aus dem Fluss des Lebens. (Nach Traugott Roser: Die Angst, ins Nichts zu fallen. In: Publik Forum Extra: Sterben über das Unausweichliche. Nr. 6/11.)
Im Psalm 39 schreit einer diesen Schmerz heraus:
Herr, lehre mich doch, dass es ein Ende mit mir haben muss und mein Leben ein Ziel hat und ich davon muss. Siehe, meine Tage sind eine Handbreit bei dir, und mein Leben ist wie nichts vor dir. Wie gar nichts sind alle Menschen, die doch so sicher leben! Sie gehen daher wie ein Schatten und machen sich viel vergebliche Unruhe; sie sammeln und wissen nicht, wer es einbringen wird. Nun Herr, wessen soll ich mich trösten? (Psalm 39,5–8)
Der Tod geht uns an, die Lebenden. Er begrenzt unser Leben, lässt es manchmal so unglaublich viel zu früh abreißen. Er macht aus uns Fragmente, wo wir doch lieber Gesamtkunstwerke wären. Nur manchmal kommt er für den Sterbenden fast wie ein Freund und erlöst von einem unsagbaren Leiden. »Wenn Sie hören, ich bin gestorben, dann freuen sie sich mit mir! Denken Sie dann: er muss nicht mehr leiden!« Das sind Freudensätze über den Tod. Doch viel öfter lässt er uns fassungslos zurück.
Wie viel davon ist menschengemacht? Wie viel von der Grausamkeit des Todes könnten wir vermeiden? Wenn Waffenhandel nicht so lukrativ wäre? Durch eine andere Klimapolitik? Wenn das Leben von Frauen und Kindern auf der ganzen Welt mehr zählen würde? Wenn Fanatismus null attraktiv wäre? Alles in unserer Macht Stehende können wir dafür tun, dass diese große Anzahl von Helfershelfern, Bediensteten und Beratern des Todes einfach an Macht verlieren über uns. Und doch: Den Tod schafft auch damit kein Mensch aus der Welt. »Nun, Gott, wessen soll ich mich trösten? Ich hoffe auf dich.« So betet der Mensch in Psalm 39. Nach dem Verzweiflungsschrei kommt dieser Strohhalmglauben. Was bleibt, wenn alles zerfällt? Wo sind die Toten? Wo gehen sie hin und wo werden wir, die Lebenden sein, wenn wir nicht mehr sind?
Tröstliches in der Bibel
In der Bibel gibt es viele Trostbilder für dieses: »Ich hoffe auf dich«. »Die Gerechten sind in Gottes Hand und keine Qual rührt sie an« heißt es im Buch der Weisheit (Weish 3,1). Ein schlichtes, ein bekanntes Bild für das Zuverlässige, das Bleibende, das Geistige. Wir sind in Gottes Hand.
Inniger, persönlicher, zärtlicher wird der Trost im Johannesevangelium: Ihr habt nun Traurigkeit, aber ich will euch wiedersehen, und euer Herz soll sich freuen und eure Freude soll niemand von euch nehmen (Joh 16,22). Es sind die Abschiedsworte Jesu an seine Freunde, in denen Jesus selbst den Trennungsschmerz fast nicht erträgt. Er verspricht: unsere Liebe wird nicht abreißen. Der Tod kann uns trennen, doch unserer Liebe kann er nichts.
Im ersten Brief an die Thessalonicher findet sich ein weiteres Trostbild: Ein Beziehungsbild. Der von den Toten Auferstandene Christus kommt, um die Seinen aus dem Tod zu holen und mit ihm ins Leben zu führen. Da ist Bewegung, da ist Wärme, da ist Liebe, da ist Hoffnung.
»Ich möchte euch aber über das Geschick der Toten nicht im Unklaren lassen, denn ihr sollt nicht trauern wie die anderen, die keine Hoffnung haben« schreibt der Apostel Paulus (vgl. 1 Thess 4,13). Dann entsteht ein ganzes Klangbild: der Schall der Posaune und eine überirdische Stimme wird zu hören sein und in der Reihenfolge derer, die schon lange warten mussten auf den geliebten Herrn, ruft er sie zu sich. Die Toten zuerst und dann die Lebenden. Auf Wolken werden sie in die Luft hinaufgerissen, um dem Herrn zu begegnen und für alle Zeit mit ihm zu leben. »So tröstet einander mit diesen Worten« (1 Thess 4,18), sagt Paulus.
Ein Trostbild: Sterben als Hineingehen in die endgültige Liebe
All diese Trostbilder sind sehr wertvoll und wirkmächtig. Das wissen die Seelsorgerinnen und Seelsorger aller Zeiten. Das hat Martin Luther in seinem »Sermon von der Bereitung zum Sterben« aus dem Jahr 1519 dem Menschen empfohlen, der sich mit dem Tod und dem Sterben auseinandersetzen und darauf vorbereiten muss. Und das zeigen die Erkenntnisse der Traumatherapie. Um schwere seelische Verletzungen zu heilen und zu überwinden, – und der spirituelle Schmerz der Vergänglichkeit ist so eine Verletzung, die jeden Menschen trifft – um solche schweren Verletzungen zu ertragen, reicht es überhaupt nicht, sie zu analysieren und durchzuarbeiten. Der Sog, der von ihnen ausgeht ist so stark, dass die direkte Konfrontation nicht weiterhilft. Was wirklich hilft sind Trostbilder. Imaginationsübungen, um sich dessen zu versichern, was einem zugesagt ist. Geistige Übungen, in denen ich mir seelische Geborgenheitsräume aufschließe, und einen inneren sicheren Ort finde. Martin Luther hat diese seelische Arbeit, diese Imaginationsübung empfohlen, wenn die Bilder der Angst vor dem Tod allzu mächtig werden – auf Christus schauen, beten, zusammen mit den Menschen, die zu einem gehören. Das ist alles.
Dann ist der Tod mehr als nur ein Abreißer, ein Zerstörer, ein Plattwalzer allen Lebens. Vielleicht löscht der Tod nicht nur aus. Vielleicht bringt er etwas ans Licht, was wir hier im Leben immer sein wollen: Gegenwärtige. Von Christus Geliebte. Und Liebende. Wenn Leben lieben heißt, dann kann man vielleicht das Sterben so beschreiben: hineingehen in die endgültige Liebe. Die Qual des Lebens, die Qualen, die die Liebe uns hier auch bereitet, rührt uns nicht mehr an. Wir sind angekommen in der unbegrenzten, ungehinderten, unvergänglichen Liebe. Und angekommen in der ewigen Gegenwart bei Gott. Wie eine zweite Geburt wird es sein, sagt Martin Luther.
Die Liebe verwandelt sich – und bleibt
Dass ein Toter gegenwärtig bleibt und vor allem, dass die Beziehung zu ihm sich noch verändert, das weiß jeder, der einen geliebten Menschen verloren hat. Da tauchen immer neue Fragen auf: Warum hast du das damals so gemacht, gesagt? Die Dankbarkeit über das gemeinsam erlebte Glück nimmt nicht ab. Die Erzählungen darüber erstarren vielleicht, wiederholen sich in immer gleichen Formulierungen und immer gleichen Szenen: Wie die Großmutter Geschichten vorgelesen, Schlaflieder gesungen, das gute Essen serviert hat. Aber es fühlt sich immer wieder lebendig an innen, es verdichtet sich, da ist das Innerste dieses Menschen und unserer Beziehung ewig und gegenwärtig. Der Tod ist dagegen vollkommen machtlos. Und vielleicht stimmt es ja dann auch nicht, dass wir das, was wir einander in diesem Leben nicht gegeben haben, nie wieder nachholen können. Die Liebe, die ich für den Verstorbenen immer noch empfinde, geht nicht ins Leere, sie geht immer noch hin und her und hält uns verbunden. Es ist eine andere Liebe, eine verwandelte, eine die nicht mehr aus Verletzungen, Missverständnissen immer wieder neu auferstehen muss. Sie ist da und wird bleiben, unangefochten, ewig. Wir sind beide in Gottes Hand und in Gottes Gegenwart, der Tote und ich die Lebende.
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Melitta Müller-Hansen |
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