archivierte Ausgabe 6/2018 |
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Die Schriftleitung |
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Leseprobe 1 |
27. Sonntag im Jahreskreis |
II. Upside down! Kleine Menschen sind bei Gott die Größten (Mk 10,2–16) |
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Kennen Sie das auch? Es gibt ganz bestimmte Lieder, die man mit ganz besonderen Momenten des Lebens verbindet. Mit dem ersten Kuss vielleicht oder mit dem Lernen für eine Abschlussprüfung, mit einer langen Autofahrt oder mit dem Tod eines lieben Menschen. Nach der Geburt unseres Sohnes Frederik hatten auch meine Frau und ich ein solches Lied. Es war so etwas wie ein Soundtrack zu unserem neuen Leben als junge Eltern. Gesungen wurde es von Jack Johnson. Das Bild vorne auf der CD sagte eigentlich schon alles: ein ehemaliger australischer Surfprofi, der mit seiner Gitarre am Lagerfeuer die gewohnte Ordnung unserer Welt umkehrt. ›Unser Lied‹ hieß denn auch Upside down – das Oberste nach unten also. Ja, genau so ist es: Der kleine Frederik hatte unser bisheriges Leben gehörig auf den Kopf gestellt. Oder besser: auf die Füße, und zwar auf zwei kleine Füßchen mit Schuhgröße 6 1/2.
Kinder bei Jesus
Upside down – genau darum geht es auch im heutigen Evangelium. Es ist wie so oft in der Jesus-Geschichte des Markus: Die Jünger verstehen zunächst einmal überhaupt nichts. Gerade hat Jesus ihnen noch gesagt, wie klein selbst er sich machen muss und was er alles erleiden wird – und schon streiten sie darüber, wer von ihnen im Reich Gottes denn der Größte sei. Einige Abschnitte weiter erzählt Markus sogar, dass sie als eifersüchtige Hüter der Nähe zu Jesus unschuldigen Kindern den Zugang zu ihm verwehren. Das ist typisch für uns Erwachsene: die höchstmögliche Position anstreben und das Erreichte dann mit aller Macht verteidigen. Jesus reagiert auf diese reichgottes-untaugliche Kleinlichkeit der vermeintlich Großen mit dem bekannten Satz: »Lasst die Kinder zu mir kommen und hindert sie nicht, denn Menschen wie ihnen gehört das Reich Gottes.« (Mk 10,14). Dieses Reich, das ist überall dort, wo die Gesetze Gottes herrschen, wo wir Erwachsenen endlich einmal das Visier hochklappen, die Waffen ablegen und uns als Menschen begegnen können.
Genauso in der zweiten Szene unseres heutigen Evangeliums. Diese erzählt, wie Jesus ein Kind in die Mitte seiner Jünger stellt, um ihnen zu zeigen, wer im Reich Gottes wirklich »der Größte« ist: Die ganz Kleinen sind die wirklich Großen bei Gott. Kinder müssen für das Reich Gottes nichts anderes tun, als einfach das zu bleiben, was sie sind: Kinder. Erwachsene aber müssen erst wieder wie Kinder werden, wenn sie etwas für das Reich Gottes taugen sollen. Wer seinen Fuß in die Welt der Kinder setzt, der hat ihn schon fast in diesem Reich. Überall dort nämlich, wo die Herrschaft Gottes ausbricht, gerät unsere gewohnte Ordnung der Dinge ins Tanzen – und es geht zu wie im Evangelium: Das Unterste wird nach oben gekehrt und die Letzten werden die Ersten sein. Die ehernen Spielregeln unserer Erwachsenenwelt werden auf den Kopf gestellt: Upside down.
Erwachsene: zu einfach und zugleich zu kompliziert
Die Jünger bei Markus, das sind unsere Platzhalter in der Jesus-Geschichte. Mit ihnen können wir so manche Lektion in der Schule der Nachfolge lernen. Eine solche Lektion könnte lauten: Vielleicht sind wir Erwachsenen für das Reich Gottes zu einfach und zu kompliziert zugleich. Zu einfach, weil wir Erwachsenen oft nur Augen für die Oberf läche unserer Welt haben. Kinder hingegen betrachten die Dinge mit anderen Augen und sehen darin mehr als nur simple ›Sachen‹ aus Holz und Plastik und Metall. Sie haben noch Augen für die potentielle Tiefendimension der Schöpfung. Ein morsches Stückchen Holz im Wasserbottich ist für sie ein Piratenschiff auf hoher See, ein altes Plastikauto in der Regenrinne ein Formel1-Wagen im Eiskanal. Kinder haben einen Blick für das verborgene Geheimnis selbst der einfachsten Dinge und damit auch für das Reich Gottes als Ort der neuen Schöpfung von Mensch und Welt.
Spielerisch an das Geheimnis der Welt rühren
Dieses Reich ist keine magische Parallelwelt wie bei Harry Potter. Es ist mitten in unserer Welt zu f inden. Und Kinder haben einen Blick dafür, denn sie schauen die Dinge wirklich an, Erwachsene sehen sie meist einfach nur. Kinder berühren die Dinge dieser Welt, Erwachsene fassen sie meist einfach nur an. Kinder lauschen ihnen, Erwachsene hören sie meist nur. Mitten in unserer Erwachsenenwelt leben Kinder in einer ganz eigenen Welt, die unsere abgeklärten Augen schon fast gar nicht mehr zu sehen vermögen – und die in ihrer Unschuld doch direkt an Gott rührt als dem tiefsten Geheimnis unseres Lebens.
Wir Erwachsenen, sagte ich gerade, sind mit unserer Wahrnehmung der Dinge für das Reich Gottes wohl ein wenig zu einfach gestrickt. Gleichzeitig sind wir aber auch viel zu kompliziert dafür. Trotz aller Gefährdungen nämlich sind auch die Kinder von heute – zumindest dann, wenn sie wirklich Kinder sein dürfen – glückliche Menschen, deren Lebenskunst darin besteht, ganz im Hier und Jetzt zu leben. »Im Heute Gottes«, wie Frère Roger von Taizé sagte. Kinder leben schiere Gegenwart – und können damit etwas, was für uns Erwachsene mit einer gehörigen Portion Ernst verbunden ist: Spielen. Spielen aber führt, so Papst Benedikt einmal über den Fußball, mitten hinein in den »freien Ernst dessen, was sein kann, aber nicht sein muss – und darum einfach nur schön ist«. Das Leben von Kindern ist ein einziges Spiel, unser Leben als Erwachsene dagegen ist häufig der blanke Ernst. Und selbst da, wo auch wir spielen, wird es gleich wieder kompliziert: Kinder spielen einfach, wir Erwachsene spielen Spiele. Und noch schlimmer: Kinder sind in das Leben selbst verspielt, Erwachsene hingegen spielen manchmal sogar mit ihrem Leben. Für kurze Momente aber kann auch im Ernst unseres Lebens etwas vom verlorenen Glück jener Kindheit aufscheinen, aus deren Paradies wir Erwachsenen wohl für immer vertrieben sind.
Gefährlicher Einsatz
Astrid Lindgren, die aus ihrer Erinnerung an dieses verlorene Paradies der Kindheit heraus ganz wunderbare ›Kinderbücher für Erwachsene‹ verfasst hat, schreibt in Die Brüder Löwenherz einen Satz, der für das Kindsein im Reich Gottes enorm wichtig ist. Zusammen mit dem heutigen Evangelium erinnert er uns daran, dass dies eine nicht ganz ungefährliche Lebensform darstellt: »Manchmal muss man etwas Gefährliches tun, weil man sonst kein Mensch ist, sondern nur ein Häuf lein Dreck.« Wie im Falle Jesu nämlich kann der Einsatz für das Reich Gottes in ernste Konf likte mit den Großen unserer Welt führen: »Der Menschensohn wird ausgeliefert werden und sie werden ihn töten.« (Mk 9,31), so Jesus in der ersten Szene des Evangeliums. Wer wie Jesus, der Menschensohn, zwischen die Fronten von Gottesreich und Erwachsenenwelt gerät, der lebt im Extremfall tatsächlich gefährlich. Wie schnell gelten auch ihm (oder ihr) die bösen Gedanken der Frevler aus der heutigen Lesung: »Lasst uns dem Gerechten auf lauern! Er ist uns unbequem und steht unserem Tun im Weg.« (Weish 2,12).
Wir Erwachsenen sind, wie gesagt, nur allzu oft für das Reich Gottes zu einfach und zu kompliziert zugleich. Aber wir können etwas dagegen tun, und zwar ganz egal, wie alt wir sind und ob wir eigene Kinder haben oder nicht. Wir können bei ihnen als den wirklich Großen im Reich Gottes in die Schule gehen. Und der beste Lehrmeister in dieser Reich-Gottes-Schule der Kindheit ist immer noch Jesus. Mitten in dieser Welt lebte er im Reich Gottes. Und so ermuntert er auch uns Heutige, diese unsere oberf lächliche und überregulierte Erwachsenenwelt mit den Augen von Kindern neu sehen zu lernen. Mehr in der Tiefe ihres Geheimnisses und insgesamt ein wenig unverkrampfter – weniger kompliziert eben und weniger einfach zugleich.
Lockerungsübungen
Ich darf Sie daher zu einer kleinen evangeliumsgemäßen Lockerungsübung einladen. Machen Sie sich doch einmal etwas früher als gewohnt auf den Weg zur Arbeit oder zu einer anderen Verpf lichtung. Achten Sie dabei auf all das, was ihrem Blick sonst normalerweise entgeht. Das Staunen darüber habe ich auf abendlichen Spaziergängen mit meinem kleinen Sohn erst wieder lernen müssen – und dabei ganz überraschende Dinge entdeckt: ein verwunschenes Hexenhäuschen, einen versteckten kleinen Spielplatz gleich ums Eck, einen netten Fahrradladen im Hinterhof.
Wer in den kleinen Dingen der Welt etwas lockerer wird, ist vielleicht auch aufmerksamer für die großen. Wenn wir Erwachsenen für das Reich Gottes wirklich etwas taugen wollen, dann muss auch der kleine Lausbub und das kleine Lausemädchen in uns zu seinem beziehungsweise ihrem Recht kommen und im bitteren Ernst unseres Erwachsenenlebens ein wenig herumstromern dürfen. Dann gelingt es uns vielleicht sogar wie von selbst, als reichgottesfromme ›Kinder-Menschen‹ mitten in dieser Welt im Geheimnis Gottes leben – noch einmal Jesus: »Gehet nicht auf in den Sorgen dieser Welt, suchet zuerst Gottes Reich« (vgl. Lk 12,22–32) – so möge es sein.
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Christian Bauer |
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