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Die Schriftleitung
Leseprobe 1
28. Sonntag im Jahreskreis
II. Dankbar(er) werden (Lk 17,11–19)
Was das Evangelium uns heute erzählt, ist reichlich offensichtlich: Neun undankbare Männer ziehen ihrer Wege, aber ein Mann – zusätzlich noch ein Nicht-Jude – kehrt dankbar zu Jesus zurück, ist des Lobes voll für Gott und sein machtvolles Wirken. Mehr als selbstverständlich haben Sie vermutlich auch den genervten und enttäuschten Unterton Jesu in seiner Frage gehört: »Wo sind die neun?«

Deshalb möchte ich mit Ihnen auf die Suche nach dem gehen, was das Evangelium nicht erzählt. Doch zunächst: Warum? Die Moral von der Geschichte ist doch eindeutig. Alles Wichtige ist erzählt. Ja, das mag sein. Aber dennoch lohnt ein Blick auf das Verborgene – und zwar aus guter ignatianischer Tradition: »Jeder gute Christ [muss] mehr bereit sein […], eine Aussage des Nächsten zu retten, als sie zu verdammen.«1

Also machen wir uns gemeinsam auf den Weg und gehen den neun Männern hinterher, um sie zum zweiten Mal zu retten – und lassen einmal Jesus für einen Moment links liegen. Auf dem Weg mit den Männern sehen wir, wie sie gesund werden, wie ihr Aussatz verschwindet, wie das Leben und die Freude in sie zurückkehrt. Denn in diesem Punkt dürfen wir uns wohl ziemlich sicher sein: Sie werden sich gefreut haben, da sie nun wieder am sozialen Leben teilnehmen konnten und nicht mehr ausgegrenzt werden. So weit, so gut.

Wie lange werden diese Männer nun schon gemeinsam ihr Leben als Aussätzige geteilt haben? Fünf Jahre? Zehn Jahre? Manche vielleicht sogar 15 Jahre? Selbst wenn sie es in dieser Zeit geschafft hatten, irgendwie vom Almosen der Leute zu leben, fehlte ihnen jedoch jede Normalität. Jede echte, herzliche Annahme, wie wir sie hoffentlich täglich oder zumindest doch regelmäßig von anderen Menschen erleben dürfen. Die Almosen waren vermutlich oft aus schlechtem Gewissen gegeben, hingeworfen – als religiöse Pflichtübung vielleicht. Können die Männer diesen Menschen echt und herzlich dankbar sein? Es wird ihnen schwerfallen.

Deshalb verwundert es eigentlich auch nicht sehr, dass diese neun Männer nicht zu Jesus zurückgekommen sind. Dass sie ihre Dankbarkeit nicht zeigen konnten, weil sie es schlicht und ergreifend vergessen und verlernt haben. Ich für meinen Teil kenne diese Erfahrung bruchstückhaft aus meinem Alltag: Eigentlich möchte ich gern jemandem für ein Wort, eine kleine Aufmerksamkeit danken, aber ich weiß nicht wie, oder es erscheint mir dann doch komisch, das zu machen. Gerne würde ich – aber dann mache ich es doch nicht. Bin ich dann undankbar? Eigentlich nicht.

Auch hier hilft der Blick auf eine ignatianische Grundformel aus dem Exerzitienbuch: »Der Mensch ist geschaffen dazu hin, Gott unseren Herrn zu loben, ihn zu verehren und ihm zu dienen und so seine Seele zu retten.« (EB 23) Für Ignatius ist es dem Menschen ins Stammbuch eingetragen, dass er Gott loben soll, Ihn verehren soll, Ihm dienen soll. Wenn man es zusammenfassen möchte: dankbar zu sein – und zwar niemand geringerem als Gott, seinem Schöpfer.

Was, wenn ich jetzt zufällig neun – Männer oder auch Frauen – von Ihnen herauspicken würde, hier ans Mikrofon bitten würde und Sie auffordern würde zu sagen, wie Sie Gott danken? Wären Sie dann zu einem klaren Wort fähig? Ein tägliches Element, das mir dabei hilft, mich in der Dankbarkeit meinem Schöpfer gegenüber zu üben, ist der Tagesrückblick oder das Gebet der liebenden Aufmerksamkeit, für das jeder und jede seine individuell passende Form finden kann. Ich habe diesen für mich mit den Worten des Jesuiten Luis Espinal angepasst und bete am Ende meines Tages mit jeweils einem Kreuz auf Stirn, Mund und Brust: »Gott beginnt. Gott begleitet. Gott beendet.« Das ist meine Einladung an Sie in dieser Woche, dass Sie sich jeden Abend fragen: Was hat Gott heute mit mir begonnen? Worin hat er mich begleitet? Was fand durch Gottes Hilfe ein gutes Ende? Wenn Sie diesen Fragen aufmerksam nachgehen, dann werden Sie mit großer Wahrscheinlichkeit dankbar(er) – und finden sich ganz automatisch vor Gott wieder und werden ihn mit lauter Stimme loben.

Anmerkungen
1 Ignatius von Loyola, Exerzitienbuch 22 (=EB).

Clemens Kascholke

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