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Die Schriftleitung
Leseprobe 1
Allerseelen
Ich glaube »an« – ich lebe darauf hin (Jes 25,6a.7–9; Joh 11,17–27)
»Ich glaube an die Gemeinschaft der Heiligen, die Vergebung der Sünden und das ewige Leben.« So beten wir immer wieder im Apostolischen Glaubensbekenntnis im dritten Abschnitt. Der Satz ist das Ende einer langen Aufzählung von Dingen, an die wir glauben. Alleine in diesem Satz sind so viele theologische Begriffe und ganze Glaubensgebilde enthalten, dass einem schwindlig werden könnte. Zusammengenommen mit all den vorherigen Sätzen des Glaubensbekenntnisses erscheint diese Aufzählung an theologischen Wahrheiten, an die wir glauben, wie eine Art Wettbewerb, ja fast wie eine Leistungsschau – »Schaut mal her, daran glauben wir und daran auch noch …« So könnte es wirken. Vor allem für diejenigen, denen es gerade schwerfällt, zu glauben. Dann wenn Gott weit weg erscheint, wenn wir uns schwer tun mit der Vergebung, wenn uns Unsicherheit darüber überkommt, was nach dem Tod ist, dann könnte das Glaubensbekenntnis so verstanden Angst hervorrufen. Haben wir dann versagt?

Glauben an jemanden meint Vertrauen

Ein anderes Verständnis dieses Glauben an etwas kann Abhilfe verschaffen und zur Klärung beitragen. Wenn ich nämlich zu einem Menschen sage »ich glaube an dich«, dann heißt das nicht: »Ich glaube, dass es dich gibt.« Der Satz »ich glaube an dich« ist vielmehr ein Zuspruch, eine Ermutigung und ein Hinweis auf Vertrauen. Ein Beispiel: »Ich gebe dir Geld. Ich glaube an dich, dass du etwas Sinnvolles damit tust.« An jemanden zu glauben bedeutet eben auch, jemandem zu glauben. Oder anders gesprochen: Ich werde so leben, dass ich glaube, dass das, was du sagst, eintritt.

Zurück zum Glaubensbekenntnis. Wenn wir hier die vielen Sätze, die mit »ich glaube an …« beginnen, ebenso verstehen, dann bedeuten sie: Ich lebe auf etwas hin – ich im Leben, im Vertrauen. Bezogen auf den ersten Satz des Credo heißt dann »ich glaube an Gott« weniger: Ich bin mir sicher, dass es Gott gibt. Es ist schon gar kein Aufzeigen eines »Schaut mal her, wie toll ich bin. Mir ist es geschenkt zu glauben …«, sondern es ist eine Selbstvergewisserung des eigenen Handelns: Ich möchte so leben, wie einer lebt, der auf Gott hin lebt. Ich möchte leben mit diesem Gott an meiner Seite. Ich möchte in Beziehung mit ihm sein. Da wird das Vertrauen mal größer sein, mal kleiner. Da wird es Zweifel geben, aber ich möchte Kontakt haben und Kontaktflächen bieten.

Leben mit ewigen Leben im Blick

Beim eingangs zitierten Satz aus dem Glaubensbekenntnis – »ich glaube an die Gemeinschaft der Heiligen, die Vergebung der Sünden und das ewige Leben« –, da kann man genauso herangehen. Dann bedeutet der Glaube an das ewige Leben: Ich lebe auf das ewige Leben hin. Dann geht es auch hier nicht um eine Leistungsschau, sondern um zweierlei: Zum einen darum, mein Leben so zu gestalten, dass dieses Leben nicht alles ist. Und zum anderen darum, mein Leben im Vertrauen darauf zu leben, dass die, um die wir trauern, noch da sind. Zum ersten: Wer auf ein ewiges Leben hinlebt, der kann mit dem Leben hier anders umgehen. Wer darauf vertraut, dass dieses Leben nicht das letzte Wort ist, das gesprochen ist, der oder die kann und darf gelassener mit manch fragmentarischen Momenten umgehen, der oder die kann auf manches verzichten und muss nicht versuchen, alles und im Letzten zu erreichen. Wer auf Erlösung am Ende des Lebens hin lebt, wer in der Hoffnung lebt, dass nicht in dieser Welt alles geschieht, sondern wer hinter der so endgültig scheinenden Grenze des Todes noch etwas vermutet, muss weder versuchen, die Welt zu erlösen noch sich selbst. Wer auf eine andere Welt hin lebt, kann in vollen Zügen leben. Der oder die kann dann das Leben annehmen mit allen Freuden und Ängsten. Denn er oder sie spürt, dass Jesu Satz, den wir im Evangelium gehört haben, stimmt: »Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt, und jeder, der lebt und an mich glaubt, wird auf ewig nicht sterben.« (Joh 11,25f.) In anderen Worten: Wer mit Jesus lebt, muss nicht alles alleine schaffen. Diese Ausrichtung des Lebens macht das Leben in dieser Welt nicht kleiner und schon gar nicht wertloser, sondern bettet es ein in ein größeres Leben und macht damit gelassener.

Leben mit den Toten

Diese Gelassenheit, die Leben in größerer Fülle ermöglicht, wird noch stärker, wenn zu ihr das Vertrauen kommt, das im zweiten steckt: Wenn wir das Leben im Vertrauen darauf leben, dass die, um die wir trauern, noch da sind. Wer auf ein ewiges Leben hin lebt, der weiß sich mit den Toten verbunden. Auch der oder die weiß nicht, wie das Leben nach dem Tod aussieht, aber er oder sie kann so leben, dass die Toten noch da sind, wenn auch in anderer Weise als zu Lebzeiten. Der oder die ist dennoch manches Mal traurig und wünschte sich ein Wiedersehen schon jetzt, aber muss die Verbindung nicht aufgeben.

Das geschieht heute an Allerseelen oder gestern an Allerheiligen. Wir verbinden uns immer wieder neu mit denen, die vor uns waren. Da schreiben wir einen Brief an die Toten. Da reden wir mit den Verstorbenen. Da besuchen wir ihr Grab. Da spüren wir ihre Nähe, wenn wir als Familie zusammen sind. Da stützen wir uns. Da erkennen wir manche Verhaltensweise eines Toten in anderen Menschen wieder. Da sitzen wir an Plätzen, die den Toten wichtig waren. Da reden wir manches Wort mit ihnen und erahnen sogar eine Antwort. Und nicht zuletzt: Da beten wir mit denselben Worten, die auch die Toten gebetet haben.

»Ich glaube an die Gemeinschaft der Heiligen, die Vergebung der Sünden und das ewige Leben.« Dieser Satz darf uns Richtungsangabe sein für unser Leben. Er ist kein Beweis unserer Frömmigkeit, kein Ergebnis von Leistung. Er ist immer neu eine Ausrichtung für unser Leben. Heute machen wir uns das in besonderer Weise bewusst. Wir dürfen unser Leben in einer Weise gestalten, die dieses Fest im Blick behält, das Jesaja beschreibt: Es wird »ein Festmahl geben mit den feinsten Speisen, ein Gelage mit erlesenen Weinen … Er verschlingt auf diesem Berg die Hülle, die alle Völker verhüllt, und die Decke, die alle Nationen bedeckt. Er den Tod für immer verschlungen und Gott, der Herr, wird die Tränen von jedem Gesicht abwischen …« (Jes 25,6–8) Das im Blick dürfen wir leben. Nicht erst dann, wenn wir uns ganz sicher sind – das wird es nie geben. Sondern schon jetzt. Denn wir leben darauf hin. Allerseelen ist ein Fest des Lebens. Ein Fest des Glaubens. Trotzdem: Die Toten fehlen uns. Und Glaube ist keine Sicherheit. Manche Traurigkeit liegt über diesem Tag. Deswegen lassen Sie uns das Ganze am Schluss umdrehen. Auch Gott spricht: Ich glaube an dich, der du trauerst und versuchst zu glauben.

Konstantin Bischoff

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