archivierte Ausgabe 1/2009 |
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Die Schriftleitung |
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Leseprobe 2 |
Zweiter Sonntag im Jahreskreis – 18. Januar 2009 |
I. Wach werden für Gott (1 Sam 3,3b–10.19) |
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Zielsatz: Gott ruft und beruft! Auch so erzählt sich die Geschichte Gottes mit den Menschen durch alle Bücher der Bibel hindurch. Dass es diesen Ruf auch in meinem, in unserem Leben gibt, daran möchte die Predigt erinnern: nicht als Zwang, nicht als Vorschrift, als Einladung an unser aller Freiheit vielmehr.
Vorgeschichte Die biblischen Erzählungen um Samuel beginnen mit der Wallfahrt der über lange Jahre kinderlosen Hanna nach Schilo, dem zentralen Heiligtum der Stämme des Alten Israel. Untröstlich weint und betet sie im Haus Jahwes ihren Kummer heraus. Der sitzt tief: Jahr für Jahr voller vergeblicher Hoffnung und Jahr für Jahr aufs Neue gekränkt und gedemütigt von Peninna, der zweiten Frau ihres Mannes Elkana, »schüttet« Hanna »dem Herrn ihr Herz aus« (1 Sam 1,15). So sagt sie es selbst zum Tempelpriester Eli, der sie in all ihrer Verzweiflung für eine Betrunkene hält. Beeindruckt von ihrer Innigkeit entlässt dieser schließlich die von Kummer geplagte Frau in der Gewissheit, dass Gott ihren Herzenswunsch nach einem männlichen Nachkommen erfüllen wird. Hanna empfängt in naher Zeit tatsächlich einen Sohn, dem sie den Namen Samuel (schama el = Gott hat erhört) gibt. Da ihr der Junge von Gott geschenkt worden war, schenkt sie ihn Gott zurück. Erneut zieht sie hinauf nach Schilo, singt ihr bewegendes Danklied und gibt Samuel in die Aufsicht Elis, damit er »bei Gott heranwachsen« (1 Sam 2,21) und den Tempeldienst lernen kann. Samuel wächst heran: vom Wohlwollen und der Liebe Gottes und der Anerkennung der Menschen umgeben, die zum Tempel hinaufziehen. All das geschieht zu einer Zeit, in der »die Worte des Herrn selten und die Visionen nicht häufig waren« (1 Sam 3,1). Hier nun setzt die heutige Lesung ein, die ganz leise eine der eindrücklichsten Berufungsgeschichten der Bibel erzählt.
Berufungsgeschichten Die zahlreichen biblischen Berufungsgeschichten markieren meist Ausgangspunkte, Übergänge, Wendepunkte und immer wieder auch Neuanfänge in der langen Glaubensgeschichte des Volkes Israel und der ganz jungen Kirche mit Gott. Abraham, Mose, Judit, Elija, Jesaja, Hulda, Jeremia, Ezechiel, die Jünger um Jesus oder Paulus: Sie alle werden von Gott in den Dienst genommen und dafür früher oder später aus ihren bisherigen Lebensumständen herausgerissen. Für eine kürzere Zeit oder ein ganzes Leben lang werden sie zu Boten Gottes erwählt. Im Laufe der oft dramatischen, fast abenteuerlichen Geschichten wandelt sich Widerspruch oder geäußerter Zweifel in Vertrauen und leidenschaftlichen Einsatz für Gott und dessen guten Willen für diese Welt. Das Berufungsgeschehen um den jungen und noch weitgehend unerfahrenen Samuel hat eine andere Mitte. Die Herausforderung liegt hier darin, auch den im vertrauten Alltag vernommenen Ruf als Ruf Gottes zu begreifen.
Samuel Von seiner Mutter in den Dienst des Heiligtums gegeben, wächst Samuel unter der behutsamen Anleitung Elis wie selbstverständlich in den Dienst an Gott und den Menschen hinein. Doch weder die »richtige Umgebung« noch seine »religiöse Erziehung« noch sein »Wohlverhalten« lassen Samuel die Stimme Gottes als die Stimme dessen hören, der ihn auch von innen her ganz und gar in Anspruch nehmen will. Fast märchenhaft schildert uns die Bibel das Geschehen: Viermal ruft Jahwe den jungen Samuel bei Nacht im Allerheiligsten, dort, wo die Bundeslade steht, mit Namen. Doch »Samuel kennt den Herrn noch nicht und das Wort des Herrn war ihm noch nicht offenbart worden« (1 Sam 3,7). So deutet er die Stimme, die ihn ruft, dreimal als die Stimme Elis, den er auch jedes Mal aufsucht. Alt geworden und nur noch mit schlechter Sehkraft ausgestattet erweist sich Eli schließlich als derjenige, der begreift, was in dieser Nacht vor sich geht – und der weiß, was jetzt zu tun ist: schweigen und hören. Schweigen im Dienst des Hörens. »Geh, leg dich schlafen! Wenn Er dich wieder ruft, dann antworte: Rede, Herr, denn dein Diener hört.« Samuel nimmt sich diesen Rat Elis zu Herzen. Und so lernt er noch in derselben Nacht die an sich so »einfache« und doch so anspruchsvolle Haltung des Geöffnet-Seins und des Lauschens auf Gott. In der schwierigen Zeit des Übergangs vom Stämmebund zum Königtum Israels wird Samuel zum Priester, Propheten, Richter und Königsmacher berufen. Er gehört zu den ganz großen Gestalten des Alten Testaments. Und doch ist die Geschichte seiner Berufung eine Geschichte vom Suchen und Fragen und der tastenden Schritte. Es ist eine der Geschichten, in denen Gott leise spricht. Es braucht erst den Weg, auf dem ein Mensch reifen kann auf seine Bestimmung hin. Und das, was hier geschieht, braucht andere Menschen. Samuel und Eli gehen ein Stück des Suchens zusammen. So wird Samuel wach für Gott, der nicht müde wird, nach ihm zu rufen.
Glaubenslernprozesse Wach werden für Gott. Die Erzählungen um Samuel zeigen uns, dass Glaubenslernprozesse Zeit brauchen und ihre Zeit getrost haben dürfen. Dass ich die Stimme Gottes zwischen all den anderen Stimmen hören lerne; dass ich mich traue, Sein Wort als persönliche Anrede an mich zu verstehen; dass ich zu glauben vermag, dass Gott so lange nach mir suchen wird, bis er mich findet – all das sind keine Glaubensselbstverständlichkeiten. Ebenso ist die behutsame Wegbeleitung, die Samuel durch den an Leben und Glauben reiferen Eli erfährt, keine Selbstverständlichkeit. Gottes lebendige Anrede ist sowohl für den erfahrenen Alten wie für den unerfahrenen Jungen eine Überraschung. Keiner von beiden ist vorbereitet. Trotzdem behält das Geschehen seine Ruhe, seine Heiligkeit. Eli verweist von sich weg auf Gott zu. Er macht nicht eigene Erfahrungen, nicht eigene Wahrheiten oder Bedürfnisse zum Maßstab des Vorgehens. Ihm bleibt nur noch das eine: Samuel vorzubereiten für die wichtigste Begegnung seines Lebens. Selbstlos. Und in dem vielleicht schmerzlichen Bewusstsein, dass Gott längst begonnen hat, zur nächsten Generation zu sprechen, hinter die er, der oberste Tempelpriester, wird zurücktreten müssen. Begegnungen werden uns geschenkt, doch wir müssen uns auch in sie hineinwagen. Samuel wagt sich in die Begegnung mit Gott hinein. Dafür hat er von Eli das vielleicht kostbarste Gut »religiöser Erziehung« mit auf den Weg bekommen: die Freiheit, ganz und gar eigene Erfahrungen mit Gott zu machen.
Nachfolgeruf Ähnliche Gesten begegnen uns auch im heutigen Evangelium. Da ist zuerst Johannes der Täufer, der weiß, dass sein Wort nicht das letzte Wort sein wird. Er gibt seine Jünger frei auf einen Größeren hin: »Seht, das Lamm Gottes« (Joh 1,36). Und auch die Geschichte, die dann zwischen Jesus und seinen ersten Jüngern losgeht, ist geprägt von Achtung, Unvoreingenommenheit und Offenheit. Ein Dialog beginnt: »Was sucht ihr?« – »Wo wohnst du?« – »Kommt und seht!« So sprechen sich Einladungen an die Freiheit der anderen aus. So öffnen sich Räume, einander kennen zu lernen. So bleibt Raum für eigene Erfahrungen und reife Entscheidungen. »Kommt und seht!« So klingt im Johannesevangelium der Ruf in die Nachfolge Jesu. Wir hören ihn schon im ersten Kapitel. Keine Vorschriften, keine Moral. Eine Einladung vielmehr. Und Ermutigung: Ausdrücken dürfen, was ich suche und wohin meine Sehnsucht geht. Meinen Lebenshunger, meine Neugierde nicht verschweigen müssen. Erkunden dürfen, was es mit dem Leben auf sich hat – und mit dem, der uns das Leben in seiner Fülle verheißt. Jesus kennen lernen, mit ihm gehen – durch das ganze Evangelium – und sehen, wo er zu Hause ist und woraus er lebt: in und aus der Liebe des Vaters. In eine solche Einladung wagt man sich gern hinein. Andreas und ein weiterer Jünger teilen einen Tag mit Jesus. Die Glaubensfreude, die das bei ihnen auslöst, steckt an. So kommt auch Simon Petrus zu Jesus. Angeschaut in der Tiefe ihres Herzens sprechen die drei Männer ihr »Ja«. Und aus einem Tag wird ein ganzes Jüngerleben. – »Schweigen und hören«, »suchen und finden«, »kommen und sehen« sind die zentralen Worte der heutigen Schrifttexte. Sie wollen auch uns wachrufen für Gott.
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Vera Krause |
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