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Leseprobe 2 |
Kasualien |
Welttag der sozialen Gerechtigkeit |
Gedenktag: 20. Februar | Biblischer Bezugstext: Lk 10,25–37 |
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Die zentrale biblische Referenz der Enzyklika Fratelli tutti (FT, 2020) von Papst Franziskus, die eine Magna Charta für die kirchliche Sozialverkündigung im 20. Jahrhundert darstellt, ist das Gleichnis vom barmherzigen Samariter. An dem Mann, der auf dem Weg nach Jericho von Räubern überfallen worden ist, gehen der Priester und der Levit vorbei, der Mann aus Samaria hat »Mitleid« (Lk 10,33), er versorgt die Wunden, bringt den Mann in eine Herberge. Jesus erzählt das Gleichnis auf die Frage eines jüdischen Gesetzeslehrer, wer denn »mein Nächster« (Lk 10,29) ist. Auf die besondere Wendung, die das Gleichnis nimmt – die befreiungstheologische Deutung dieses Textes hat insbesondere darauf hingewiesen –, baut Papst Franziskus die Argumentation seines Lehrschreibens auf. Jesus fragt den Gesetzeslehrer am Schluss der Erzählung des Gleichnisses: »Wer von diesen dreien meinst du, ist dem der Nächste geworden, der von den Räubern überfallen wurde?« (Lk 10,36) Es geht nicht nur darum, den »Nächsten« zu sehen – bereits das ist sicher in Zeiten, in denen soziale Kälte, Gleichgültigkeit und Egoismus zunehmen, von Bedeutung –, sondern es geht vor allem darum, selbst zum Nächsten des anderen – und insbesondere des Fremden – zu werden. Der Samariter ist durch das Leid und den Schmerz des anderen angerührt, er empfindet »Mitleid«, und so macht er – der Fremde – sich zum Nächsten des anderen.
Das ist Ausdruck einer »sozialen Liebe«, wie Franziskus in Fratelli tutti schreibt, die nicht vor Grenzen Halt macht, sondern die im Öffnen der Augen für die Fremden und für all diejenigen, die verwundet sind und aus den sozialen Beziehungsnetzen herausfallen, ein neues Miteinander ermöglichen soll. Der Papst geht auf die vielfältigen Brüche und Wunden der globalen Welt ein, auf den Kontext von Migration und die notwendigen grenzüberschreitenden Netze der Solidarität. Er stellt in das Zentrum den Gedanken und die Praxis einer wahrhaften Anerkennung der anderen, der Fremden, und das verdichtet er in dem Leitmotiv der »sozialen Freundschaft«: »Liebe, die über alle Grenzen hinausreicht, ist die Grundlage dessen, was wir in jeder Stadt und in jedem Land ›soziale Freundschaft‹ nennen. Wenn dieser freundschaftliche Umgang in der Gesellschaft authentisch ist, ergibt er eine Bedingung der Möglichkeit von wirklicher universaler Offenheit.« (FT 99)
Das sozialphilosophische Fundament der Enzyklika stellen Überlegungen des französischen Philosophen Paul Ricoeur dar, der Liebe und Gerechtigkeit in seinen Schriften aufeinander bezieht. Soziale Gerechtigkeit in einer globalisierten Welt kann auf das Fundament einer grenzüberschreitenden sozialen Freundschaft nicht verzichten. Erst wenn egoistisches, »identitäres« Denken überwunden und die Verbundenheit und Gemeinschaft der Menschen in den Blick genommen wird, die die Grenzen von Kultur, Nation und Religion überschreitet, kann das wachsen, was soziale Gerechtigkeit ist. Das bedarf einer Gestalt der Freundschaft, die sich nicht an »seinesgleichen« festmacht, die nicht »exklusiv« und »elitär« ist, sondern die Grenzen überschreitet, die insofern das aristotelische Konzept von Freundschaft aufbricht, indem sie es mit der christlichen Gestalt von Liebe und Barmherzigkeit verbindet. Und diese erläutert Papst Franziskus am Gleichnis des Samariters, der eben nicht vorbeigeht an dem Verwundeten, an dem, der »Niemand« (FT 101) ist: »Es ist keine mögliche Option, gleichgültig gegenüber dem Schmerz zu leben; wir können nicht zulassen, dass jemand ›am Rand des Lebens‹ bleibt. Es muss uns so empören, dass wir unsere Ruhe verlieren und von dem menschlichen Leiden aufgewühlt werden. Das ist Würde.« (FT 68)
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Margit Eckholt |
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