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Leseprobe 2
Das Geistliche Lied
I. O Herr, nimm unsre Schuld
In dem großen Kommentarwerk zu den Gotteslobliedern, das 2017 im Verlag des Katholischen Bibelwerks erschienen ist, trägt unser Lied (GL 273) den Titel »Glaube ohne Macht«. Dieses Thema will ich heute mit Ihnen ein wenig durchdeklinieren, damit wir entdecken können, wie all unser Beten in eine große Leere hineingeht und wir dennoch eingeladen sind, weiter zu beten. Gott selbst möge uns beim Beten an die Hand nehmen und in die richtige Richtung führen.

Glaube ohne Macht
Den Titel »Glaube ohne Macht« können wir etwas besser verstehen, wenn wir ihn im Gegensatz sehen zu unserer gewohnten Gebetsfolie. Gewöhnlich und gerade in Zeiten wie der unsrigen, in der so großer Wert auf Leistung, Effizienz, Ergebnisorientierung und Zielerreichung gelegt wird, soll auch Gott in diesem Wertesystem mitspielen. In unserem Beten wollen wir Gott in unsere Vorstellungen hineinpressen. Die sonntäglichen Fürbitten zeigen dies oft erschreckend deutlich: Menschen haben eine Not und nun soll Gott nach dem Willen der Menschen aktiv werden. Er soll Kranke gesundmachen, Streit beenden, Frieden unter den Menschen schaffen, die Mächtigen zur Umkehr bringen und die eigene Kirche so reformieren, wie es die verschiedenen Gruppierungen in ihr erwarten. Auf jeden Fall soll er alles so machen oder dafür sorgen, wie wir uns das vorstellen. Gott wird als ein allmächtiger Papa angesehen, der die Übel der Menschen lösen oder beseitigen kann. Und dann kann es passieren, dass genau das nicht eintritt, was wir von Gott gefordert haben. Es ist ja auch so seltsam: Wenn wir böse Erfahrungen machen oder uns ein schweres Unglück trifft, dann sucht man nach einem Schuldigen, den man für das böse Geschick verantwortlich machen kann. Man sucht außen, und nicht innen im eigenen Leben. Gewinnt man jedoch im Lotto, dann schaut der Mensch zumeist nicht mehr nach außen und sucht jemanden, der ausgerechnet diesen Glückspilz ausgesucht hat. Im Glücksfall sind wir in aller Regel schnell geneigt anzunehmen, dass uns ein solches Glück »zusteht«.
Wie ganz anders ist der Komponist und Textdichter Hans Georg Lotz (1934– 2001) an das Thema Beten herangegangen. Er, der Professor an der Hamburger Musikhochschule, engagierter Christ in einer freikirchlich-evangelischen Gemeinde, wollte für sein Leben mehr geistliches Wachstum. Und als zentrale Erkenntnis im Streben nach geistlichem Wachstum galt für ihn: Der Mensch ist zwar dabei, sich auf Gott hin auszurichten, auf ihn hin zu leben, aber – und das ist das entscheidende Aber – es bleibt beim Versuch, es bleibt die Einsicht: Unsere Glaubenskraft ist zu gering, um bis zu Gott durchzudringen. Dieses existentielle und bleibende Unvermögen lässt sich nicht durch den pastoral fragwürdigen Rat beheben: Dein Glaube ist zu klein! Du musst einfach »mehr und stärker« glauben!

Die Not des Unvermögens, der Sorgen und des Zweifels

Hier kommen wir zum Inhalt der ersten Strophe: »O Herr nimm unsre Schuld, mit der wir uns belasten.« Es ist nicht die Schuld der vielen großen und kleinen Sünden, sondern die Belastung des generellen menschlichen Unvermögens, aus eigener Kraft den Weg zu Gott zu f inden. Dieses Unvermögen belastet schwer, weil es nicht zum gewünschten Ergebnis führt. Darum – das ist ein wunderbares Bild – muss Gott selbst die Hand führen, mit der wir nach ihm tasten. Das Bild vom tastenden Beter ist viel realistischer als das Bild vom überzeugten Beter, der offenbar zweifelsfrei weiß, wie man zu Gott durchdringt. Die zweite Strophe ist ebenfalls von dieser großen Ambivalenz geprägt: Wir trauen deiner Macht und sind doch oft in Sorgen. Es ist, wie es die Rubrik »Glauben und Zweifeln« in der Wochenzeitung »Die Zeit« auf den Punkt bringt. Es gibt keinen felsenfesten unerschütterlichen Glauben, sondern immer nur einen angefochtenen. »Ich glaube, hilf meinem Unglauben!« sagt der Vater des besessenen Jungen im Markusevangelium zu Jesus (Mk 9,24). »Wir glauben deinem Wort und fürchten doch das Morgen.« Heute scheint uns Gott so nah und möglicherweise ist er morgen bereits wieder unendlich fern. Und das ist in der Tat ein Grund zum Fürchten, wenn man den Weg des geistlichen Wachstums im Leben gehen will.
Doch nicht nur im Glauben und Beten lebt der Mensch in der schrecklichen Ambivalenz von Sicherheit und Unsicherheit. Auch im sozialen Bereich ist es nicht anders. Davon zeugen die beiden weiteren Strophen des Liedes. Auch sie sind von dieser existentiellen Ambivalenz geprägt.

Die Not der Selbstbezogenheit

Einerseits kennen wir das Gebot, einander beizustehen, aber – jetzt darf man wohl mit Fug und Recht sagen: wie es der Teufel will – sehen wir oft nur uns selbst und unsere eigene Not. Es ist halt auch so verf lixt schwer, von sich selber wegzusehen und den anderen liebevoll in den Blick zu nehmen. Deshalb finden wir so oft den Weg zum anderen nicht.
Die vierte Strophe fasst das Thema des ganzen Liedes zusammen und präzisiert nochmals das, was der Textdichter mit »Schuld« meint. Es sind die »Dinge, die uns binden«, die unsere Belastung ausmachen. Was uns bindet, engt uns ein, schnürt uns zu, macht uns unfrei. Durch solche Bindungen hindurch finden wir nie und nimmer den Weg zum anderen. Da muss wiederum der Herr selber unsere Hand ergreifen bzw. unsere Schritte lenken, damit wir – und das ist das Ziel menschlichen Daseins – den Weg zum anderen finden. Erst wenn wir den Blick auf uns selbst und alles und jedes unter diesem Aspekt betrachtend überwinden, können wir den anderen in den Blick nehmen, kann menschliches Miteinander gelingen. Dies gilt nicht nur für den einzelnen im Umgang mit dem einzelnen Gegenüber, sondern das ist auch das Heilmittel für das Miteinander von Völkern und Nationen.

Das Eingeständnis der Ohnmacht und das Tasten nach dem lebendigen Gott

Der Komponist und Textdichter Hans Georg Lotz hat uns in dem Lied eine unfassbare spirituelle Erkenntnis vermittelt: Was Not tut, ist Gottes Hilfe, weil des Menschen eigene Kraft nicht ausreicht. Das Lied ist eine geglückte Kombination von Bekenntnis und Eingeständnis. Das Bekennen des Glaubens ist untrennbar verbunden mit dem Eingeständnis von Ohnmacht und Hilf losigkeit. Auch der vermeintlich fest Glaubende wird nicht als spiritueller Superstar ohne Furcht und Zweifel zum Maßstab, sondern der zaghaft tastende Glaubende wird es. Der Mensch streckt seine Hände nach Gott aus, merkt aber, dass die Arme zu kurz sind, und nun nicht weiß, in welcher Richtung er weitersuchen soll. So sind wir nun mal. Wir strecken unsere Hände, unser Denken und unser ganzes Leben in eine große Leere aus – allerdings von der Hoffnung getragen, dass unserem Unvermögen Gott selbst zu Hilfe kommt und er selbst unsere Hände, unser Denken und unser Leben führt.
Zu lernen wäre, dass unser Weg zu Gott ein großes Tasten bleibt. Und auch der Weg zum anderen Menschen bleibt ein tastender Versuch, nicht sich selbst und die eigenen Interessen immer und immer wieder in den Vordergrund zu stellen.

Hubert Brosseder

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