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Die Schriftleitung
Leseprobe 2
Kasualien
II. Hoffnung über den Tod hinaus
Biblischer Bezugstext: Joh 14,1–6

Auf die Frage nach einer Hoffnung über den Tod hinaus gibt es viele unterschiedliche Antworten. Eine sehr verbreitete ist die Feststellung: »Davon wissen wir nichts und können wir auch nichts wissen.« Dennoch kann in Situationen der Trauer – auch mit dieser Antwort – eine bleibende Verbundenheit mit den Verstorbenen erahnt werden. Diese Ahnung überlässt die Toten nicht einfach dem Nichts. Im christlichen Glauben an Gott bekommt diese Ahnung Recht. Es werden ihr Geschichten von dem Gott erzählt, der den Menschen nicht nur das Leben schenkt, sondern auch bleibend am Leben seiner Menschen hängt, sie also nicht dem Tod überlassen will. Wie Gott diese Treue lebt, bleibt dabei Geheimnis. So wie Gott selbst für uns Menschen in der Zeit Geheimnis bleibt.

Jesus, der Zeuge für Zukunft im Haus des Vaters

Das Geheimnis Gottes bleibt im christlichen Glauben an Gott kein stummes, abweisendes Geheimnis. Christen glauben an den Gott, der sich den Menschen in Jesus Christus zeigt. Er bezeugt uns den Gott, auf den wir hoffen sollen über den Tod hinaus. So lesen wir beim Evangelisten Johannes die Worte Jesu, mit denen er seine Freunde auf seinen Weg in den Tod vorbereitete: »Euer Herz lasse sich nicht verwirren. Glaubt an Gott, und glaubt an mich! Im Haus meines Vaters gibt es viele Wohnungen. Ich gehe, um einen Platz für euch vorzubereiten.«
Im Bild der Wohnung spricht Jesus vom Geheimnis unserer Zukunft über den Tod hinaus. Wie wichtig die Wohnung für uns ist, wird uns bewusst, wenn wir Wohnungslosen auf unseren Straßen begegnen. Ihnen fehlt ein Zuhause. Dabei geht es nicht nur um die vier Wände und das Dach über dem Kopf. Eine Wohnung ist mehr als Schutz vor Kälte, Wind und Nässe. In ihren Wohnungen suchen Menschen Geborgenheit für den ganzen Menschen. Ein besonderes Geschenk ist es, wenn Menschen nicht nur in einem Raum, sondern auch beieinander wohnen. Mit dem Wohnen ist dann verbunden, dass man einander annimmt, Freude und Leid miteinander teilt, im gegenseitigen Vertrauen verbunden ist. Die kostbarste Wohnung für den ganzen Menschen ist die Liebe eines anderen Menschen. Jesus spricht von dem Haus Gottes, seines Vaters. Dass Gott nicht in einem Haus wohnt, ist klar. Das Haus des Vaters ist der Raum seiner Liebe. Dass es in diesem Haus viele Wohnungen gibt, ist ein Bild für Gott. Er hat in sich, in seiner Liebe Raum für die vielen. Und er wartet geradezu darauf, dass sie bei ihm einziehen. Die Wohnungen sollen nicht leer bleiben. Jesus geht den Menschen voraus und öffnet so den Weg in die Liebe des Vaters. Wenn Christen bekennen »Ich glaube an Gott«, dann bekennen sie darin ihren Glauben an den Gott und Vater Jesu Christi – und darin ihre Hoffnung auf ein Zuhause über ihren Tod hinaus.

Das ewige Leben als Wohnen in der Liebe Gottes, des Vaters

In dem Bild vom Haus des Vaters meint das ewige Leben das Wohnen in der Liebe Gottes. Dieses Leben in der Liebe Gottes heißt »ewiges« Leben, weil es Leben ohne Tod ist. Die Vorstellung einer Ewigkeit, die als endlos gedehnte Zeit gedacht ist, wirkt erdrückend und abschreckend. Das ewige Leben ist kein Leben in der Zeit; es ist das Leben in der Liebe Gottes. Es ist das Leben, das Gott mit uns teilt und das wir Menschen miteinander teilen. Darin bleibt das Leben, das wir in der Zeit mit Menschen teilten, lebendig. Und in der Liebe Gottes erwartet uns das Wunder einer alles und alle verbindenden Liebe. Das ewige Leben ist die Versöhnung aller Feindschaften, die Heilung aller Krankheiten und Wunden, das Trocknen aller Tränen, für die Menschen in der Zeit keinen Trost hatten. Das ewige Leben ist die miteinander geteilte Freude an Gott. Das ewige Leben ist das Fest des Lebens schlechthin. Das ewige Leben ist nur Leben und nicht Tod; ganz lebendiges Leben, weil ganz gelebte Liebe. Gott selbst ist das ewige Leben. Im christlichen Gottesglauben ist der Glaube an Gott und der Glaube an das ewige Leben der Glaube an ein und dasselbe Geheimnis.

Leben in der Nähe der Toten, die in Gott leben

Wenn das ewige Leben das Mitleben mit der Liebe Gottes ist, dann trennt es nicht die Menschen, die in der Zeit leben, von den Menschen im Haus des Vaters. Die Verstorbenen bleiben den Menschen, denen sie in der Zeit verbunden waren, über den Tod hinaus nahe. Sie nehmen Anteil am Leben ihrer Lieben in der Zeit. Die Liebe Gottes hat sie von allem befreit, was sie von den noch in der Zeit Lebenden trennen könnte. Sie können sie aus der Gemeinschaft mit Gott besser verstehen als in ihrem Leben vor dem Tode. Sie umgeben sie mit der Güte Gottes. Die noch in der Zeit Lebenden können sich ihren Toten, die sie im ewigen Leben hoffen, zeigen, sich ihnen anvertrauen, sie um Rat und Hilfe bitten, Freude und Leid hinhalten. Je intensiver Menschen von der Hoffnung auf das ewige Leben für ihre Toten erfüllt sind, desto bewusster können sie leben in der Nähe ihrer für immer in Gott beheimateten Angehörigen.

Das in der Zeit beginnende ewige Leben

Gott teilt sein Leben mit uns nicht erst im Leben nach unserem Sterben. Beim Apostel Paulus lesen wir, was Gott schon hier und heute denen schenkt, die sich ihm öffnen: »Die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist.« Damit beginnt in sterblichen Menschen bereits in dieser Zeit das Mitleben des Lebens Gottes, also des ewigen Lebens. Wo wir die uns geschenkten Fähigkeiten zu lieben zur Wirkung bringen, lebt in uns das ewige Leben. Dieses Leben will in uns wachsen. Das geschieht in den alltäglichen Anregungen zum Guten, im Teilen von Freude und Leid, im Verzicht auf Gewalt als Antwort auf Gewalt, im geduldigen Aushalten der Schwächen des anderen, in Schritten der Versöhnung. Über das in uns durch gelebte Liebe wachsende ewige Leben hat der Tod keine Macht. Es ist die Liebe, die Gott schon in der Zeit mit uns teilt und die nach unserer Zeit in ihm ihren Grund und ihre Fülle finden soll. Noch hat der Feind des Lebens seine Macht in unserer Geschichte; aber er ist bereits vom Stärkeren, von der Liebe Gottes in Jesus Christus, besiegt. Diese Liebe ist unser ewiges Leben.

Dieter Emeis

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