archivierte Ausgabe 4/2010 |
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Die Schriftleitung |
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Leseprobe 2 |
Siebzehnter Sonntag – 25. Juli 2010 |
I. Ein Grundsatzgespräch (Gen 18,20–33) |
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Zielsatz: Die Predigt will an dem Dialog Abrahams mit Gott das Zeitbedingte und Zeitlose dieses Bibeltextes herausstellen.
Zentrale Fragen In dem Gespräch Abrahams mit Gott, das manchmal Züge eines Handelsgesprächs auf einem orientalischen Markt trägt, geht es um Grundsatzfragen der Religion und damit des Lebens. Sie lauten: Ist Gott gerecht oder handelt er willkürlich? Allgemein gefragt: Ist das Leben gerecht? Kann eine Minderheit in einem Gemeinschaftsgefüge etwas bewirken, z.B. eine drohende Katastrophe noch aufhalten? Lohnt es sich gerecht zu leben oder erleiden Gute und Böse das gleiche Schicksal? Diese Grundsatzfragen, die die Menschen seit Beginn ihrer Geschichte bewegen, sind hier in ein dramatisches Zwiegespräch gepackt, in dem sich Abraham zum Anwalt der Gerechten macht und Gottes Gerechtigkeit aus Gottes Mund nachweisen will. Diese Grundsatzfragen nach der Gerechtigkeit Gottes und dem Gerechtsein des Menschen werden am Beispiel der drohenden Zerstörung Sodoms erzählerisch diskutiert und sind als theologisches Gespräch in die Abrahamsgeschichte eingefügt.
Sodom ist Jerusalem Die böse Stadt Sodom ist hier Beispiel und Chiffre für die Stadt Jerusalem. Wir sind ziemlich sicher, dass dieses Gespräch verfasst und niedergeschrieben wurde, nachdem Jerusalem 587 v. Chr. zerstört worden war und mit der Stadt der Tempel und die Königsdynastie untergegangen waren. Da setzte verstärkt ein Forschen nach den Ursachen ein, ein Fragen nach der Angemessenheit und Gerechtigkeit dieses Strafgerichts. Das Gespräch zwischen Abraham und Gott ergibt ein sehr klares, hartes Urteil: Die Zerstörung war rechtens, denn es fanden sich in der total verderbten Stadt nicht einmal zehn Gerechte, die kleinstmöglich denkbare menschliche Gruppe. Alles war korrupt, die Stadt musste wegen ihrer Verfallenheit untergehen. Doch hat das Gespräch auch einen positiven Impuls: Wären in der Stadt nur wenige Gerechte gewesen, Gott hätte sein Strafgericht ausgesetzt: Es lohnt sich also, gerecht zu leben und – auch das ist eine Botschaft dieses Textes für die kommenden Generationen nach der Katastrophe.
Zeitloses und Zeitbedingtes Wir müssen in der Konfrontation mit solchen aus der antiken orientalischen Welt kommenden Texten immer zwischen Zeitbedingtem und Zeitlosem unterscheiden: Zeitbedingt ist, was der Denkungsart der Menschen damals entspricht, aber heute nicht mehr akzeptabel ist. Zeitlos ist das, worin die Texte uns heute ansprechen, zum Denken und zur Auseinandersetzung anregen. Zeitbedingt und nicht mehr unserem Denken entsprechend ist der Automatismus zwischen Schuld und Strafe. Die Meinung, dass jede begangene Schuld automatisch die göttliche Strafe nach sich ziehe, und dass das Vergehen eines Einzelnen immer ein ganzes Gemeinwesen ins Verderben ziehe. Zeitbedingt und dem damaligen begrenzten Denken zuzuschreiben ist, wenn z.B. Naturkatastrophen mit vielen Opfern als göttliches Strafgericht über menschliche Schuld interpretiert werden. Die vielen Unschuldigen, die umkommen, lassen sofort Gottes Gerechtigkeit in Frage stellen: Was ist das für ein Gott, der Gute und Böse ohne Unterschied straft? So klagt auch der schuldlos betroffene Ijob Gott an: »Schuldlose und Schuldige bringt er um« (Ijob 9,22). Das ist genau der Punkt, da das Zeitlose unseres Gesprächs zum Vorschein kommt:
Protest gegen eine Anschauung Das Gespräch Abrahams mit Gott protestiert in seinem Verlauf und im Ausgang gegen diesen Automatismus von Schuld und Strafe und gegen die Schuldverhaftung der Gerechten. Aus dem Mund Gottes selbst erfährt Abraham und mit ihm das ganze gläubige Israel: Gott verschont um der wenigen Gerechten willen eine ganze korrupte Stadt. Er ist nicht wie ein menschlicher Willkürherrscher und straft nicht grundlos, er lässt sich sogar umstimmen und schätzt eine Minderheit von Gerechten höher ein als die Mehrheit der Schuldigen. Der Gott unseres Gesprächs ist also nicht dem angeblichen Automatismus von Schuld und Strafe unterworfen, er wahrt seine Freiheit und damit seine Gottheit. Die Freiheit und Offenheit des Gottesbildes gegen jeglichen Dogmatismus und gegen jegliches Systemdenken zu verteidigen, gehört zur zeitlosen Botschaft unseres Gesprächs.
Die Chance der Minderheit Zeitlos und gültig bleibt die Botschaft und der Impuls an die kommenden Generationen damals wie heute: Eine Minderheit in einem Gemeinwesen kann durchaus etwas bewirken und mit einem guten Programm etwas Konstruktives, Positives für die Mehrheit tun, ja die große Masse mit ihren Gedanken und Idealen durchdringen und formen; wir haben dies beispielweise mit der ökologischen Bewegung erlebt, die klein begann und heute längst auch die großen Parteien und uns alle prägt.
Gerechtsein für andere Zeitlos ist schließlich die unserem Gespräch zu entnehmende Erkenntnis: Es lohnt sich, »gerecht« zu leben; »gerecht« im Sinne von Verantwortung, der Gemeinschaft verpflichtet, solidarisch. Wir leben ja nicht gerecht, damit wir prinzipientreu einem überkommenen Moralkodex huldigen, sondern damit wir dem Gemeinwesen, dem wir uns zugehörig fühlen, in Verantwortung für das Ganze und in Solidarität mit den Schwächeren dienen. Und dies wird sich immer auszahlen und für das Ganze positiv bemerkbar machen. Halten wir also das Zeitlose unseres alttestamentlichen Textes fest: Er wirbt um die Vorstellung eines freien, offenen, nicht nach menschlichen Kategorien handelnden, langmütigen und gerechten Gottes. Er ermutigt uns, auch als Minderheit nicht vorschnell aufzugeben. Er stellt dem Gerechtleben und Gerechthandeln Erfolg und Wirksamkeit in Aussicht.
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Theodor Seidl |
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