archivierte Ausgabe 6/2014 |
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Die Schriftleitung |
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Leseprobe 2 |
DAS THEMA: DAS NEUE GOTTESLOB |
Alte Lieder – neue Klänge |
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Liturgische Bücher schaffen es selten in die Feuilletons großer Zeitungen. Nach den innerkirchlichen Querelen um das Begräbnisrituale von 2009 und die noch immer nicht erschienene Messbuchübersetzung ist das neue Gebet- und Gesangbuch der deutschsprachigen Bistümer eine rühmliche Ausnahme. Das neu überarbeitete Gotteslob wird als »kulturelles Ereignis von europäischem Rang« gepriesen und zeigt einmal mehr, dass Kirchenlieder noch immer zu den beliebtesten Formen des Gotteslobes gehören. Obwohl sich die Schweiz, Lichtenstein und die elsässischen und lothringischen Bistümer (Straßburg, Metz) nicht daran beteiligten, erstreckt sich sein Gültigkeitsbereich nahezu über den gesamten deutschsprachigen Kulturraum. Neben seiner kirchlichen Funktion ist ein Gesangbuch immer auch ein Kulturgut ersten Ranges. Auch religiös Unmusikalische können, wenn sie ein kulturelles Sensorium haben, leicht erkennen, welche Schätze in den Liedern verborgen sind. Es kommt ein Schiff geladen oder O Haupt voll Blut und Wunden gehören zu den bedeutenden Texten der deutschsprachigen Lyrik. Das Kirchenlied ist eine ihrer wenig wahrgenommen Besonderheiten. Wenn auch die eigentliche Botschaft der Lieder oft nicht mehr verstanden wird, lebt in den Gebet- und Gesangbüchern die christliche Kultur bis heute fort.
Am neuen Gebet- und Gesangbuch kann man aber nicht nur das kulturelle Gesicht unterschiedlicher Epochen kennenlernen. Mit einer unvorstellbar hohen Auf lage von 3,6 Millionen Exemplaren gehört das Gotteslob neben der Bibel zu den letzten religiösen Massenmedien. Wer es zur Hand nimmt, begegnet einer gesungenen und gebeteten Überlieferung, die – von den biblischen Psalmen bis zur Gegenwart – annähernd dreitausend Jahre umspannt. Das Gotteslob ist zwar kein liturgisches Buch im eigentlichen Sinn, dennoch wird es seit den liturgischen Reformen des Zweiten Vatikanischen Konzils als gottesdienstliches Rollenbuch der Gemeinde verstanden. Seit 40 Jahren ist es aus den Gottesdiensten im deutschen Sprachraum nicht mehr wegzudenken. Für viele, die sich der Kirche zugehörig fühlen, ist es ein Buch, mit dem sie sich persönlich identifizieren.
Neue Akzente im Liedteil
Wie die Liturgie insgesamt, so steht auch ein Gesangbuch im Wechselspiel von Tradition und Innovation. Die Auswahl der Lieder spiegelt dabei die Suche nach dem Eigenen ebenso wie die Öffnung für das Fremde wider. Schon die Namenswahl des katholischen Gebet- und Gesangbuches zeigt, dass die zweite Auf lage des Gotteslobes in der Tradition seines Vorgängers aus dem Jahre 1975 steht. Trotz der Kontinuität wurden rund 140 Lieder aus dem alten Buch ersatzlos gestrichen. Damit entstand ausreichend Platz, um die vielfältigen Bedürfnisse heutiger Gottesdienste abzudecken. Beim ersten Durchgang stellt sich aber dennoch kein großes Verlustgefühl ein, da es viele Gesänge aus dem 1975er-Gotteslob ohnehin nie in die gemeindliche Praxis geschafft haben. Mit den zahlreichen Neuaufnahmen konnte man allerdings wieder nicht verhindern, dass es auch im neuen Gotteslob genügend »matte Produkte binnenkirchlicher Art« gibt.
Sucht man nach möglichen Motiven, die hinter der Liedauswahl stehen, wird man zunächst pragmatische Überlegungen anführen dürfen. Mit Hilfe des neuen Gotteslobes ist es möglich, das breite Repertoire katholischer Liturgie musikalisch zu begleiten: Lateinische Choräle sind ebenso enthalten wie Neues Geistliches Liedgut, Gesänge aus Taizé finden sich in unmittelbarer Nähe zu geistlichen Volksliedern. In der Auswahl können sich alle kirchlichen Gruppen wiederfinden, egal welchen kirchenmusikalischen Geschmack sie bevorzugen, ob sie alt oder jung, »modern« oder »konservativ« sind. Das musikalische Konzept des Buches ist auch deshalb überzeugend, weil es »eher summarisch als selektiv, pluralistisch nicht monochrom« angelegt ist.12 Mit einer klugen Pragmatik ist es den Verantwortlichen gelungen, ideologisch motivierte Engführung fast gänzlich zu vermieden. Damit besitzt das Gotteslob genügend Potential, um die verschiedenen Strömungen innerhalb der Kirche hinter sich zu versammeln. Wer das Buch ernst nimmt, muss sich ab sofort nicht mehr durch alternative Liedheftchen abgrenzen. Hoffentlich trägt das Buch auch dazu bei, die immer stärker werdenden partikularen Interessen innerhalb des Gottesdienstes zu überwinden. So wichtig eigene liturgische Feiern für Hausfrauen, Jugendliche, Familien, Senioren und kirchliche Vereine auch sind, am Ende sollen sie der Einheit des Gottesdienstes nicht im Weg stehen.
Konservative Zurufe bemängelten schon früh die stiefmütterliche Behandlung der lateinischen Liturgie im neuen Gotteslob. Ein Vergleich zeigt rasch, dass der lateinische Choralgesang den Stellenwert behält, den er auch im alten Gotteslob genoss. Lediglich die Missa Alme Pater ist aus der Neuausgabe herausgefallen. Schenkt man der neu eingeführten deutsch-lateinischen Parallelphrasierung vieler liturgischer Gebete und Texte die nötige Aufmerksamkeit, kann sogar von einer Stärkung der lateinischen Liturgie gesprochen werden. Ob dies den gewünschten Einf luss auf die Praxis haben wird, wird die Zukunft erst zeigen. Ebenso spannend war die Frage nach der Berücksichtigung des Neuen Geistlichen Liedgutes (NGL). In den Gemeinden ist seine Popularität unumstritten – die theologische und musikalische Qualität vieler Lieder des NGL lässt aber oft zu wünschen übrig. Immerhin haben es nun doch 56 NGL-Lieder in das neue Gesangbuch geschafft. Doch auch hier haben die Verantwortlichen mit großer Sorgfalt ausgewählt. Es wurden vor allem jene Lieder aufgenommen, sie sich in den letzten Jahrzehnten ohnehin schon ins breite Repertoire eingeschrieben haben und (gerade noch) theologisch und musikalisch vertretbar sind. Lieder wie Brot, das die Hoffnung nährt oder Herr, du bist mein Leben, Herr, du bist mein Weg geben ein beredtes Zeugnis davon. Als weitere Erneuerung ist die hervorgehobene Stellung von Taizé-Gesängen zu nennen. Während sie früher vor allem durch selbst produzierte Anhänge den Weg ins Gesangbuch fanden, sind sie nunmehr mit 20 Liedern offiziell im Stammteil vertreten. Wie das Neue Geistliche Liedgut gehören die ökumenischen Gesänge aus Frankreich seit mittlerweile 20 Jahren zum fixen Bestandteil kirchlichen Singens. Das Gotteslob berücksichtigt damit einen Trend, der schon länger zu beobachten ist. Es besteht ein Bedarf nach Formen meditativer Spiritualität, die auf Stille, Anbetung und Kontemplation baut. Die Taizé-Gesänge bilden dafür oft den nötigen Rahmen. Ferner kam es bei den Kehrversen zu merkbaren Einschnitten. Sie wurden fast durchgängig neu komponiert und sind kaum älter als vier Jahre. Der große Eingriff bei den Kehrversen belegt, dass sie im alten Gesangbuch den gewünschten Anforderungen kaum entsprachen. Die Praxis der Zukunft wird hier zeigen müssen, ob den Verantwortlichen nun eine bessere Auswahl gelungen ist.
Die nachhaltigste Veränderung liegt allerdings im Bereich der neu aufgenommen »Volkslieder«. Etwas pointierter könnte man auch resümieren, dass aus dem Gotteslob ein »geistliches Volksliederbuch« geworden ist. Der Mond ist aufgegangen, Nun ruhen alle Wälder, Maria durch ein Dornwald ging, O du fröhliche, Ihr Kinderlein kommet, Sankt Martin ritt durch Schnee und Wind sind trotz ihres hohen Bekanntheitsgrades dennoch Neuzugänge. Ihre Aufnahme empfindet man als Bereicherung, auch wenn sie oft keine Kirchenlieder im eigentlichen Sinn sind. Der Einzug des Volksliedhaften wird in den ebenfalls stark überarbeiteten Diözesan- bzw. Regionalteilen noch weiter verstärkt. Damit stellt sich das Gotteslob einer weiteren Entwicklung, die auch im außerkirchlichen Bereich an Bedeutung gewonnen hat. Wie Editionsprojekte verschiedener Musikverlage belegen, gib es seit geraumer Zeit eine Renaissance des Volksliedes.
Viele haben mit Erleichterung festgestellt, dass trotz längerer Querelen die Lieder des holländischen Ex-Jesuiten Huub Oosterhuis in das neue Gotteslob aufgenommen wurden. Ein Gesangbuch ohne Lieder wie Ich stehe vor dir mit leeren Händen oder Gott, der nach seinem Bilde aus Staub den Menschen wäre heute kaum mehr vorstellbar. Wie immer man zu Leben und Werk des Holländers steht, bei seinen Liedern passen jedenfalls Melodie, moderne Lebenserfahrung und Textgestaltung auf unvergleichbare Weise zusammen. Viele seiner Lieder eignen sich zudem als Alternative zu theologisch flachen Zeitgeistprodukten.
Obwohl das neue Gotteslob über weite Strecken einen dezidiert katholischen Eindruck macht, lebt es – wie schon sein Vorgängermodell – von seiner großen ökumenischen Offenheit. Von den insgesamt 280 Liedern sind 145 als ökumenisch gekennzeichnet. Aus dem »Evangelischen Gesangbuch« wurden so populäre Klassiker wie Befiehl du deine Wege oder Nun ruhen alle Wälder übernommen. Im Stammteil findet man zudem sieben Lieder von Paul Gerhardt und ebenso viele von Martin Luther. Mit Dietrich Bonhoeffers Von guten Mächten, das oft schon in den Anhängen des alten Gotteslobes zu finden war, wird zudem ein Lied aufgenommen, das sich im katholischen Bereich schon längst durchgesetzt hat. Neben der evangelischen Tradition sind nun erstmals auch orthodoxe Melodien vertreten. Damit ist das neue Gotteslob auch ökumenisch gesehen reicher als je zuvor.
Das Gotteslob ist mehr als ein Gesangbuch
Im Unterschied zur evangelischen Tradition verfügen katholische Gesangbücher über einen ausgeprägten Andachts- und Gebetsteil. Was für viele Benutzerinnen und Benutzer wohl selbstverständlich ist, dürfte in den letzten Jahrzehnten gelegentlich in Vergessenheit geraten sein. Auch das neue Gotteslob versteht sich als ein umfassendes Haus- und Gebetsbuch, das alle Stationen eines christlichen Lebens begleiten will. Angesichts des religiösen Gedächtnisverlustes unserer Tage kommt dem christlichen Gebet- und Gesangbuch auch eine neue Rolle zu. Es gilt den spirituellen Reichtum der christlichen Überlieferung zu bewahren, um ihn an die nächsten Generationen weiterzugeben: »Wer seine eigene Tradition nicht kennenlernt, nicht damit rechnet, dass sie möglicherweise Unabgegoltenes und für die Gegenwart aktuelles enthält, den kann es vielleicht die Zukunft kosten.« Das neue Gotteslob ist sich dieser Aufgabe bewusst, wenn es im ersten Teil des Buches den reichen christlichen Gebetsschatz benutzerfreundlich aufbereitet. Es beschränkt sich nicht nur auf die klassischen Gebete großer Heiliger. In der Rubrik Gebete für Jugendliche findet sich z. B. ein sehr ansprechendes Gebet des deutsch-iranischen Dichters SAID. Aber auch die Anzahl zeitgenössischer Autorinnen wurde im Vergleich zum Vorgängermodell deutlich erhöht. Die Rubrik In der Familie feiern kann ebenfalls zu den Innovationen gezählt werden. Sie verdeutlicht einmal mehr, dass das Gotteslob auch für häusliche Feiern verwendet werden soll. Der inhaltliche Schwerpunkt liegt in diesem Abschnitt auf der Advent- und Weihnachtszeit. Neben einer Familienandacht mit Liedvorschlägen gibt es eine Adventkranzsegnung und ein benutzerfreundliches Feierformular für den Heiligen Abend. Das Angebot wird durch eine Dank- und Segensfeier bzw. ein Hausgebet für Verstorbene abgerundet. Die Gebetsandachten im kleinen Kreis sind aufgrund ihres einheitlichen Schemas und der übersichtlichen Aufbereitung auch für Außenstehende leicht nachzuvollziehen.
Auch wenn die Säkularisierung fortschreitet, ist die Nachfrage nach Taufe, Firmung und Trauung in vielen Teilen unseres Sprachraumes ungebrochen groß. Zukünftig wird man das Gotteslob mit seinem katechetischen Schwerpunkt intensiver für die Vorbereitung und die Feier der Sakramente heranziehen können. Jedes Sakrament wird dafür mit einer gut verständlichen Hinführung zu Inhalt und Form eingeleitet, um im Anschluss den eigentlichen Ablauf der Feier zu erschließen.
Neben den eigentlichen Sakramenten sticht auch die Rubrik Die Feier der Sakramentalien hervor. Was im Vorgängermodell kaum eine Rolle spielte, hat nun einen angemessen Platz gefunden. Gerade die Gebete und Feierhilfen für Sterben, Tod und Begräbnis werden in der Praxis auf hohe Akzeptanz stoßen. Hilfreich ist eine umfangreiche Gestaltungshilfe für die Totenwache oder auch die neue Nummer für die Urnenbestattung. Es entspricht den Erfordernissen heutiger Gemeindesituationen, dass im Gotteslob nun ein vollständiges Formular für die Wort-Gottes-Feier abgedruckt ist. Auch wenn es eigene liturgische Bücher nicht ersetzen kann, wäre es mit Hilfe eines Lektionars (zur Not) möglich, eine vollständige Wort-Gottes-Feier zu begehen. Die knappe und klare Struktur bietet für Vorstehende, andere liturgische Dienste und die Gemeinde eine erste Orientierungshilfe. Die Hereinnahme der Wort-Gottes-Feier steht auch symbolisch für die liturgischen Veränderungen in den letzten 40 Jahren. 1975 war im Gotteslob für eine solche Feierform noch kein Bedarf.
Im Bereich der kirchlichen Andachten geht das Gotteslob völlig neue Wege. Die Andachten folgen nun einem »Baukastenprinzip«, das sich aus 32 verschiedenen Andachtsabschnitten zusammensetzt. Der Titel jedes Abschnitts gibt zugleich den Inhalt vor. Neben ganz konkreten und gängigen Titeln wie Auferstehung, Heiliger Geist oder Taufe finden sich abstraktere Bezeichnungen wie Erwartung, Liebe oder Wiederkunft. Aus den einzelnen Andachtsabschnitten können Andachten so zusammengestellt werden, wie es dem Anlass und der Feiergemeinde entspricht. Zusätzlich hält das Inhaltsverzeichnis Vorschläge bereit, wie man die einzelnen Themen bestimmten Festen oder geprägten Zeiten zuordnen kann. Der Gebets- und Meditationscharakter des Buches wurde durch die neue Struktur und den Inhalt des Gebet- und Andachtsteils nachhaltig gestärkt. Da das Gotteslob auch ein Hausbuch sein will, wird wohl viel daran liegen, ob es gelingt, seinen privaten und häuslichen Gebrauch nachhaltig zu fördern.
Über einige Neuerungen im neuen Gotteslob wird man trefflich streiten können, manches ist dabei weniger oder überhaupt nicht gelungen. Wer allerdings unvoreingenommen auf das erneuerte Gotteslob zugeht, wird seine Innovationen schnell schätzen lernen. Die kluge Umsetzung des Buches erinnert daran, dass veränderte kirchliche Strukturen und eine säkulare Gesellschaft auch langfristig nicht das Ende so groß angelegter Projekte bedeuten müssen. An einigen Stellen zeigt das Gotteslob zudem geschickt auf, wie es möglich ist, an die moderne Welt und ihre Bedürfnis anzuschließen. Binnenkirchlich betrachtet bietet es auch weiterhin die Chance des gläubigen Einstimmens, der Kommunikation und der Identifikation. Es bleibt die Gewissheit, dass trotz der veränderten Rahmenbedingungen in den Liedern und Texten des neuen Gotteslobes die christliche Kultur fortlebt und zum Klingen gebracht werden kann.
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Andreas Bieringer |
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