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Leseprobe 2
32. Sonntag im Jahreskreis
III. Lesepredigt: Durst (1 Kön 17,10–16)
Als Elija erwachte, hatte er Durst. Er hob den Kopf und sah auf den Bach, der gestern noch ein wenig Wasser geführt hatte – er war vertrocknet. Auch die Raben, die ihn in den letzten Tagen versorgt hatten, sah und hörte er nicht mehr. Gott hatte ihn allein gelassen.

Aber da war noch der Durst. Auch der Durst nach Gott. Nach Leben. Und da war die Ahnung, dass er noch nicht am Ende war, dass sein Weg mit Gott und zu Gott noch weiterging. Deshalb machte Elija sich auf den Weg nach Sarepta. Unterwegs dachte Elija, dass Gott da war, in seinem Durst und in seiner Ahnung.

Am Stadttor von Sarepta traf Elija eine Frau. Sie war eine Witwe, Elija sah es an ihrer ärmlichen Kleidung, an ihrer gebeugten Haltung und an ihrer Verlorenheit. Und er hatte eine Ahnung, dass sich zwischen ihnen Gott ereignen könne, zwischen seinem Durst und ihrer Armut. Er bat die arme Frau um etwas Wasser, was viel war in diesen Tagen der Dürre. Und als die Frau sich schon auf den Weg machen wollte, rief er ihr noch hinterher: Auch einen Bissen Brot! Das war sehr viel für eine Witwe in diesen Tagen des Hungers. Elija wusste selbst nicht, warum er jetzt auch noch Brot verlangte, ausgerechnet von ihr, die es doch sicherlich schon schwer genug hatte. Es war nur wieder – diese Ahnung von Gott. Die Reaktion der Witwe überraschte ihn nicht. Barsch warf sie ihm ihre Situation vor die Füße: dass sie nur noch einen letzten Rest zu essen habe, etwas Öl, etwas Mehl, dass sie daraus etwas backen wolle für ihren Sohn und für sich, und dass sie dann – ja, dann wollten sie sterben! Da war Elija doch erschrocken. Konnte jemand so verzweifelt sein, dass er sich den Tod wünschte? Als Witwe musste sie es doch gewohnt sein, mit wenig auszukommen. Sie hatte doch ohne Zweifel gelernt, für sich und ihren Sohn zu kämpfen. Wie konnte sie jetzt so schicksalsergeben sein und sich mit einer letzten Mahlzeit auf den Tod vorbereiten? In Elija meldete sich wieder der Durst und damit auch seine Ahnung, seine Ahnung von Gott. Und in den Augen der Witwe sah er Angst. Er sah in ihren Augen die Ängste unzähliger Menschen, die Angst vor dem Tod, aber auch die Ängste vor dem Leben. Und da, in dieser Begegnung mit der Angst, erfüllte sich seine Ahnung, ereignete sich Gott. Denn er wusste mit einem Mal – wenn er als Prophet für den Gott des Lebens eintreten wollte, musste er jetzt ein Wort gegen die Angst finden.

Elija entschloss sich, nicht drumherum zu reden, und sagte ganz schlicht: Fürchte dich nicht! Er wollte der Witwe ein Signal senden, ein Signal in ihre Angst, in ihre Einsamkeit, in ihre Verlorenheit hinein. Elija wollte sie teilhaben lassen an seinem Vertrauen auf Gott, an seinem Vertrauen ins Leben. Denn auch wenn er selbst noch dabei war, seinen Gott kennenzulernen, eines wusste er: Wunder, die das Leben zum Guten verändern, werden nicht aus Angst geboren, sondern aus Vertrauen. Sie werden nicht in Einsamkeit geboren, sondern in Gemeinschaft. Wunder werden nicht aus der Gewissheit geboren, sondern aus der Ahnung. Wunder werden nicht aus dem Sattsein geboren, sondern aus dem Durst …

Und es wird erzählt, dass Elija und die Witwe und ihr Sohn dann wirklich ein Wunder erlebt hätten. Der Mehltopf sei nicht leer geworden, so erzählt man, und der Ölkrug sei nicht versiegt. Denn man wollte erzählen von dem Wunder, das aus der Gemeinschaft und der Solidarität geboren worden war. Man wollte erzählen von dem geteilten Vertrauen, das die Angst und die Einsamkeit genommen hatte. Man wollte erzählen von der Witwe, die die Armut in die Verzweiflung trieb, und von Elija, der einen Durst nach Leben und eine Ahnung von Gott hatte. Weil man wusste, dass es diese Armut und diese Ahnung und diesen Durst zu allen Zeiten gibt.

Stefan Voges

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